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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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nächststehenden Behälter. Staub und Metall, ein Scharnier.
    Ich stellte die Kerze ab, um den Deckel des Kastens zu öffnen. Als ich hineingriff, stieß meine Hand gegen etwas Trockenes und Steifes. Ich nahm die Kerze in die andere Hand und hielt sie nah an den Kasten.
    Ein Gesicht. Leere Augen und ein lippenloses Grinsen.
    Ich taumelte zurück, streckte die Hand vor mir aus, als wollte ich damit die Leiche abwehren, sollte sie aus ihrem Sarg steigen.
    Aber die Leiche lag still da. Die Überreste einer Frauenperückeumrahmten den Schädel, steif und rostbraun wie Herbstlaub. Ihre Hände steckten in Spitzenhandschuhen und waren vor der Brust gekreuzt.
    Ich stolperte über eine unebene Bodenfliese und streckte die Hand aus, um das Gleichgewicht zu halten. Die Kälte des Gemäuers kroch über meinen Arm. Neben meiner Hand befanden sich zwei lange, gekreuzte Schenkelknochen.
    Ich fuhr herum. Mit dem Schienbein stieß ich gegen den nächsten Sarg. Er schwankte auf den Steinklötzen, die ihn vor Hochwasser schützen sollten. Dann stieß er gegen den nächsten. Die Särge kippten nacheinander um. Im Fallen knackten die Knochen in ihnen mit einem Geräusch, das wie Laufschritte in sommerlichem Unterholz klang.
    Der Gesang schien sich jetzt weiter von mir entfernt zu haben. «Lass sie ziehen, o Meister, vom Tod zum Leben, das Du Abraham und seinen Nachkommen verheißen hast.»
    Ich hastete an den aufgereihten Särgen vorbei und versuchte zu verhindern, dass sie umkippten. Mit dem Kopf stieß ich gegen eine niedrige Verstrebung des Steingewölbes und taumelte in eine Wandnische. Schmerz durchzuckte mein Gehirn und nistete sich dort ein.
    Ich öffnete die Augen. In der Nische waren bis oben hin Beckenknochen aufgestapelt. Der erste Tote dieser Krypta war beiseitegeschafft worden, um Platz für neue Leichen zu machen. Ich schrie voller Todesangst.
    Mein Schrei ging in Kurzatmigkeit über.
    Schweigen unter der Kirche.
    Die Särge regten sich nicht mehr. Nur der durch die Luft wirbelnde Staub verriet, dass ihre Ruhe gestört worden war.
    Auch der Gesang war verstummt.
    Ich hielt die Kerze vor mich und versteifte dabei den Arm so, als müsste ich ihn weit genug in die Dunkelheit ausstrecken können, um die gesamte Krypta zu erleuchten. Ich irrtenach links und rechts, angestrengt starrend und blind zugleich.
    In einiger Entfernung erklangen Schritte. Ich drehte mich zu ihnen um, hörte aber nichts mehr.
    «Wer ist da?», rief ich.
    Wieder hallten Schritte durchs Gewölbe. In meiner Panik glaubte ich, eine der Leichen sei, befreit aus ihrem Sarg, wiederauferstanden. Ich stellte mir vor, dass sie mit Gliedern, die das Gehen nicht mehr gewohnt waren, wie ein tapsiges Baby durchs Dunkel stolperte.
    Die Schritte näherten sich.
    Ich schlug mir die Leichen aus dem Kopf. Ich war erst vor zwei Tagen überfallen worden. Bevor ich mit den Geistern rachsüchtiger Toter konfrontiert werden würde, hätte ich erst einmal lebendige, mordlustige Männer zu fürchten.
    Meine Kraft im Arm ließ nach. Ich senkte die Kerze.
    Gemessen und langsam schienen die Schritte noch recht weit entfernt zu sein.
    Dann stand sie vor mir.
    «Ohne das armselige Lichtlein kämen Sie besser zurecht», sagte sie.
    Ich fuhr zusammen und hob die Kerze noch einmal an. Paradis leckte über ihre breiten Lippen und ließ den Mund offen stehen.
    Ich starrte die Kerze an und runzelte die Stirn.
    «Ich kann den verbrennenden Talg riechen», sagte sie, «falls Sie sich darüber wundern sollten.»
    «Ich habe Sie singen gehört», stammelte ich. «Ich konnte nicht erkennen …»
    «Hier unten sind Sie so blind wie ich.» Sie schob sich an mir vorbei und löschte die Kerzenflamme zwischen Daumen und Zeigefinger.
    Ich schrie auf. Sie packte mein Handgelenk und verdrehtees, bis der nutzlose Kerzenstummel auf den Boden fiel. Sie zog mich am Arm.
    «Kommen Sie mit, verdammt», sagte sie.
    Ich tappte hinter ihr her. Mit den Knien stieß ich gegen die scharfen Kanten der Särge. Ich stolperte über unsichtbare Werkzeuge, die Arbeiter gegen die Wand gelehnt hatten. Sie führte mich tiefer in die Krypta hinein.
    «Bevor man außerhalb der Stadtmauern Friedhöfe angelegt hat, wurden die Reichen direkt unter den Kirchen beigesetzt», sagte sie. «Von denen sind Sie hier umgeben. Hunderte von Adligen und führenden Bürgern, vertrocknet und konserviert von der Luft hier unten.»
    «Es war, als hätte mich die Frau im Sarg angeschrien.»
    Paradis schnalzte mit der Zunge. «Die Totengräber

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