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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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über die Banklehne vor ihr, als improvisierte sie auf einer Tastatur.
    Ich dachte an Wolfgangs Rätsel, das an das Ende der Sonate gekritzelt war. Bezog es sich auf Paradis? Er hatte von Blindheit und vom Paradies geschrieben. Aber er hatte auch geschrieben
Sie bereut ihre Blindheit, wie sie stets reumütig ist.
Reue über irgendetwas hatte ich bei Paradis allerdings noch nicht wahrgenommen.
    Wenn er beabsichtigt hatte, den Zugang zu seiner neuen Freimaurerloge vom Talent abhängig zu machen, dann war Maria Theresia von Paradis eine Musikerin, der vielleicht nur Wolfgang selbst überlegen war. Zweifellos hatte er auch eine selbstbewusste Frau gesucht. Hätte Pamina in der
Zauberflöte
an sich selbst gezweifelt, hätte sie es nie geschafft. Am Schluss der Oper errang sie ihren Platz in der Priesterschaft dank ihrer absoluten Entschlossenheit. Das war eine Eigenschaft, über die Paradis bis zu einem Grad verfügte, der nicht minder erstaunlich war als ihre Meisterschaft am Klavier.
    Constanze schluchzte, als ihre Schwester vom ewigen Licht sang, das auf die Heiligen schien. Ich legte ihr den Arm auf den mageren Rücken. Der Chor beendete das Requiem.
    Vier Träger in derben Mänteln schulterten Giesekes Sarg. Die knochigen Leichenteile, vielleicht der Kopf, die Ellbogenoder die Fußgelenke, polterten gegen das raue Holz. Wie alle Bauern beherrschte auch die Träger noch die alte Schreckensvorstellung, lebendig begraben zu werden. Sie zögerten, wollten sich vergewissern, dass Gieseke nicht wieder lebendig geworden war. Doch selbst wenn er noch gelebt hätte, war ich mir sicher, dass er in seinem Sarg Ruhe gegeben hätte, bis sich die Erde über ihm schloss. Angst war wie Schweiß aus seinen Poren geströmt. Einzig der Tod schien ihm Sicherheit und Ruhe zu versprechen.
    Ich half Constanze zum Kirchenportal. Swieten hielt sie an ihrem anderen Arm. Der Leichenwagen rollte am Portal vorbei nach Süden zum St. Marx-Friedhof einige Meilen außerhalb der Stadt. Gieseke würde neben Wolfgang ruhen.
    Constanze schluchzte an Schikaneders Brust. Sänger aus dem Theater scharten sich um meine Schwägerin. Obwohl es Giesekes Messe gewesen war, hatte ihnen Wolfgangs Musik noch einmal Constanzes Trauer ins Bewusstsein gerufen. Da der Leichnam nun unterwegs zum Grab war, gaben alle der kleinen Frau in Schwarz eine tröstende Umarmung, als wäre sie die Witwe sämtlicher Toten Wiens.
    Die Musik war verstummt, doch hörte ich sie immer noch. Um ihr letztes Echo zu vernehmen, ging ich in die Kirche zurück. Die Bänke waren leer. Die meisten Kerzen waren gelöscht. Ich ging noch einmal über den Grabstein der Familie Pergen. Unter meinen Füßen gab die Platte leicht nach. Ich eilte auf die umgebenden, festeren Steinplatten.
    Draußen auf dem Platz verstummte das Geplauder der Opernsänger. Sie würden Constanze nach Hause oder vielleicht in ein Gasthaus geleiten. Ich verspürte nicht den Wunsch, mich ihnen anzuschließen. In der Stille der Kirche entdeckte ich die wundervolle Spannung von Wolfgangs Requiem. Es war, als sängen die Engel hinter dem Altar in einer Tonlage, die nur ich hören konnte.
    Eine Stimme erscholl in der Kirche. Ich lauschte, bis sie sich von den Engeln löste. Eine Frau sang. Ich folgte der Stimme bis zum nördlichen Querschiff. Sie sang eine Melodie aus Wolfgangs Requiem.
    Ich erreichte eine ausgetretene Steintreppe. Von unten sang die Frau das
Domine Jesu Christi.
«Herr Jesus Christus, König der Herrlichkeit, erlöse die Seelen aller verstorbenen Gläubigen aus den Qualen der Hölle und dem tiefen Abgrund.»
    Aus einer Nische neben der Treppe nahm ich eine Kerze und zündete sie an der Flamme einer Öllampe an. Ich folgte der Stimme hinab in die Dunkelheit.

30

    «Lass sie nicht in Dunkelheit fallen.»
    Die Stimme war kein reiner Sopran, und die Sängerin machte auch keine Anstalten, sich zu korrigieren. Sie war reiner Ausdruck, als gebäre Gefühl und Glauben die Musik, die doch meinem sterbenden Bruder aus der Feder geflossen war.
    «Der heilige Bannerträger Michael führt sie zurück ins heilige Licht», sang sie.
    Meine Kerze flackerte im Luftzug am Fuß der Treppe. Ich schirmte die Flamme mit der Hand ab und betrat eine lange, gewölbte Krypta.
    Die Luft war kalt und staubtrocken. Niedrige schmale Behälter standen überall auf dem Boden. Ich überlegte, ob ich einen Gruß rufen sollte, wollte aber die Musik nicht unterbrechen.
    «Wir bringen Dir Opfer und Lobgebete dar, o Herr.»
    Ich berührte den

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