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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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den Vers über eine tödliche Kälte in seinem Körper. Er wollte sich entziehen, doch Swieten hielt ihn fest.
    «Reue empfinde ich nicht», sang Pergen. Sein Blick wanderte in meine Richtung. «Geh mir aus den Augen.»
    In Pergens Stimme hörte ich die Gottesfurcht, und ich wünschte, dass er Gnade finden möge. Ich dachte an meine Gebete zu Unserem Herrn, er möge meinem Bruder gegenüber Milde walten lassen. Ich ertrug den Gedanken nicht, dass es jemanden geben könnte, dem keine Erlösung zuteilwürde. In der Hoffnung, dass er auf irgendeine Weise Mitleid ausdrücken könnte, schaute ich den Baron an. Er wankte nicht.
    Swieten hielt immer noch die Hand des Grafen fest und drückte sein Handgelenk nach unten, sodass sich der armeMann vor ihm verbeugen musste. Mit aller Lautstärke, die ihm zur Verfügung stand, sang Swieten: «Dann verfalle dem ewigen Zorn.»
    Auf der Bühne hatte ich diese Szene geliebt. Doch muss ich gestehen, dass mein Wunsch, Pergen die Maske vom Gesicht zu reißen, schwächer wurde, als ich sah, wie diese Szene mit dem Herzrasen und den Schluchzern eines Unglückseligen zum Leben erwachte. Ich flüsterte Swieten zu: «Euer Gnaden, ich …»
    Pergen blinzelte mir übers Klavier hinweg zu und japste. «Nein», sagte er. «Nein, nein.»
    Swieten ließ ihn los.
    Pergen lehnte sich mit hängenden Schultern ans Klavier.
    Der Kaiser schnippte mit den Fingern in Richtung seines verstörten Ministers. «Kommen Sie schon, Mensch.»
    Pergen schluckte heftig und sang: «Unbekannte Schrecken durchzucken mich. Dämonen des Schicksals greifen nach mir. Ist die Hölle los, um mich zu quälen?»
    Der Baron hatte meine Zurückhaltung bemerkt, diesen geschlagenen Mann zum Äußersten zu treiben. Wie ein Dirigent hob er befehlend und streng die Hand. Ich konnte ihm ebenso wenig widerstehen, wie ich ihm widerstanden hatte, als wir uns küssten. Unter Swietens Führung und durch die Kraft von Wolfgangs Musik wurde ich selbstsicherer.
    Er senkte die Hand. Ich schlug kraftvoll in die Tasten, um die Akkorde so laut wie möglich erklingen zu lassen. In der tiefsten mir möglichen Tonart sang ich den Chor: «Ewige Qual erwartet dich. Du wirst in endloser Nacht brennen.»
    Pergen blökte seine letzten Zeilen, doch wurde sein Unbehagen durch Schikaneder etwas kaschiert. Der Schauspieler griff nach Don Giovanni, um ihn zurückzuhalten, als er in die Flammen stürzte. «Das Feuer des Schicksals umgibt ihn», sang er.
    Hätte er selbst den Don Giovanni gespielt, wäre Schikaneder zweifellos zu Boden gefallen. Pergen musste den Höllensturz nicht spielen – er war bereits dort. Sein Blick wanderte zwischen dem Kaiser und mir hin und her. Seine Hand hinterließ auf dem Klavierdeckel eine Schweißspur. Sein Gesicht war so weiß wie seine Perücke.
    Die Begleiter des Kaisers hoben die Hände und erwarteten sein Zeichen, Beifall zu spenden. Aber als Leopold von seinem Stuhl aufstand, hakte er die Daumen in die Taschen seines Gehrocks.
    Schikaneder vollführte eine einstudierte Verbeugung. Vom Schweigen irritiert, blickte er sich um. Swieten bedeutete mir, mich vom Klavier zu erheben.
    Ich streckte Pergen die Hand entgegen, wie mir der Baron zu tun aufgegeben hatte. Abgesehen von Pergens stoßweisem Atem herrschte völlige Stille im Raum.
    «Los doch», sagte der Kaiser. «Geben Sie ihm die Hand.»
    Pergen schüttelte den Kopf.
    «Ich befehle es Ihnen.» Leopolds Augen, die unter schlaffer Haut verborgen gewesen waren, weiteten sich nun machtvoll. «Es ist der Wille Ihres Kaisers.»
    Pergen stürzte auf meine Hand zu. Ich dachte, er würde sie küssen, sah ihn dann jedoch zusammenbrechen. Er sank vor meinen Füßen zu Boden.
    «Vergeben Sie mir, Mozart!», rief er. «Vergib mir, o Gott!, vergib mir. Bitte.»
    Seine Worte schienen nicht von einer Stimme geformt zu werden, sondern eher von einer zerreißenden Stimme, als würde ihm die Seele aus der Kehle gerissen. Er umklammerte meine Fußgelenke und weinte auf meine Schuhe. Wolfgangs Schuhe.
    «Gestehen Sie den Mord an Maestro Mozart?», fragte der Kaiser.
    «Ich gestehe, und ich flehe seinen schrecklichen Geist um Vergebung an. Finde Frieden, Mozart, und schenk mir meinen Frieden.» Pergens Fingernägel bohrten sich in meine Beine. Ich trat einen Schritt zurück, doch er folgte mir auf Knien. «Ich flehe meinen Gott um Vergebung an.»
    «Die erflehen Sie besser von
mir»,
sagte der Kaiser. «Weg mit ihm.»
    Der Hofmeister riss die Tür auf. Zwei weiß uniformierte Wachen kamen

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