Mr. Chartwell - Hunt, R: Mr. Chartwell
Churchill zog einen Schluss und verwarf ihn. Er kam wieder zum selben Schluss und hielt daran fest. Konnte es tatsächlich sein, dass sie diese lebende Verwünschung sehen konnte, diesen kriechenden Kraken, dieses … ? Churchill zügelte seinen Zorn mit fester Hand. Beobachte weiter, vergewissere dich. Ein verstohlener Klaps, mit dem Esther Black Pats stinkende Pfote von ihrer Schulter beförderte, entlarvte sie vollends.
Esther schnellte vor der Pfote zurück, bat durch zusammengebissene Zähne: »Hör auf!«
»Keine Lust«, sagte Black Pat, und die spielende Pfote streckte sich abermals nach ihrer Schulter aus.
Churchill legte einen Daumen auf die Unterlippe. Esthers Bekanntschaft mit dem vierbeinigen Ekel war neu, so viel war sicher. Das Erschrecken davor war deutlich noch frisch. Ein paar Tage schätzungsweise, eine Woche, mit Sicherheit das erste Mal. Doch der Hund hatte sie am Wickel. Und er war schon weit gekommen, diese liebevollen kleinen Blicke verrieten seine Leidenschaft. Churchill sah es, wie er es bei anderen gesehen hatte. Bei seinem Vater, seinen Töchtern, seinem Sohn. Bei sich selbst. Und mit der Zeit würde das Tier sie genauso auszehren, denn was der Hund einmal in den Fängen hatte, das hielt er fest. Was also tun? Ein derart heikler Fall erforderte ein behutsames Vorgehen. Vorsichtig vorfühlen, dachte Churchill. Vorsichtig. Äußerst bedächtig sagte er: »Manche Tage, den heutigen zum Beispiel, finde ich so verlockend wie Knollenblätterpilze zum Frühstück.«
Er beobachtete sie. Hatte sie verstanden? Anscheinend nicht, ihre Wangen glühten vor Verlegenheit bei dem Versuch, Black Pat zu ignorieren. Das war nicht so einfach, denn der Hund hechtete am Fußboden herum und schnappte knurrend nach ihren Schnürsenkeln.
»DennmancheTagescheinennichtsandereszuverheißen,alsdassdasUngemachindenfolgendenTagenehernochzunimmt.«ChurchillspitztedieLippen.»Ichdachte,ichsprecheeseinmalan.IchhattesoeineAhnung,Siekönntenverstehen,wasichdamitmeine.«
Nein, nicht ganz. Esther wartete auf mehr. Auch Black Pat wartete, an Schnürsenkeln nicht mehr interessiert.
»In solchen gnadenlosen Zeiten«, fuhr Churchill fort, »kann es passieren, dass ich mich in einen Zustand der nostalgie de la boue fallen lasse.«
»Entschuldigung, de-la-was? Nosta-was?«
»Wörtlich übersetzt«, erläuterte Churchill ihr, »ist das die Sehnsucht nach dem Schmutz, ein eigentümliches Verlangen nach Verworfenheit. Bei mir tritt sie in Situationen auf, wo ich zum Horizont blicke und ein Heer von Stürmen heranrücken sehe. Angesichts übermächtiger Ängste können die Gedanken einen zur Aufgabe verlocken, zum sofortigen Eingeständnis der Niederlage.«
Esthers Zeigefinger krümmte sich und traf eine Taste der Schreibmaschine, pochte darauf. Wenn sie recht verstand, war das eine verhüllte Anspielung auf Black Pat. Sie stand vor einem außergewöhnlichen Dilemma.
»Aber«, Churchill musterte Esther über den Schildpattrand der Brille hinweg, »diese schwarze innere Anwandlung darf man nicht für bare Münze nehmen, sie ist nur ein kleiner Kabelknick.« Er hielt inne, um zu taxieren, wie weit er gehen sollte. Sie waren auf heiklem Terrain. Er wollte, dass sie seine vorsichtigen Annäherungsversuche erwiderte.
Black Pat hatte aufgehört zu spielen. Er lag am Boden, still und gefährlich.
Sie fasste sich ein Herz. »Den Ausdruck habe ich schon mal gehört.«
»Da wette ich drauf.« Churchill ließ sie sehen, wie er dem Hund einen deutlichen, offenen Blick zuwarf. »Und Sie werden sicher noch mehr gehört haben.«
Sie sprachen also über ihren gemeinsamen Quälgeist. Esther ließ sich diese höchst verstörende Erkenntnis eingehen. Schon war sie wieder weg, zu verstörend, um sich festhalten zu lassen. Black Pat war auf allen Frequenzen wachsam und strahlte eine ungeheure Präsenz aus.
Churchill hakte nach. »Und jedem, der solche Unwahrheiten gehört hat, würde ich entgegenhalten: Lügen sind Mumpitz, Lügen durchs Megaphon sind lediglich lauter Mumpitz.«
»Lauter Mumpitz … « Esther klang kleinlaut.
»In gewisser Weise möchte ich Ihnen wohl zu verstehen geben, dass die Dinge, die unsere Aufmerksamkeit fesseln, diese Aufmerksamkeit nicht immer verdienen.« Churchills Blick wurde zusehends direkter. »Denn, Esther Hammerhans, was die zersetzenden Kräfte von uns verlangen, ist manchmal schwierig zu sortieren. Wir mögen glauben,dasswireineEntscheidungaufderGrundlagederunsvorliegenden Fakten treffen, aber wenn die
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