Mr. Fire und ich (Band 1)
Danach werde ich Kunstgeschichte in Paris studieren. Ich möchte später einmal in einer Galerie arbeiten. Und ich dachte, es könnte nicht schaden, meine Englischkenntnisse aufzubessern. Außerdem gibt es hier unzählige Museen und Ausstellungen …“
Drehe ich jetzt völlig durch, oder warum erzähle ich ihm meine halbe Lebensgeschichte?
„Wie alt sind Sie, Julia?“
„Morgen werde ich 20.“
„20? Da organisieren Sie doch bestimmt eine große Party.“
„Nein, nein. Tom ist der Einzige, mit dem ich mich angefreundet habe, und wir müssen beide arbeiten. Ich feiere meinen Geburtstag, wenn ich wieder zu Hause bin, also bald.“
„Sie sehen traurig aus! Ihre Familie fehlt Ihnen, nicht wahr?“
Was geht ihn das eigentlich an? Er spricht mit mir, als wäre ich ein kleines Kind. Macht er sich etwa über mich lustig?
„Nein … Ja … Also, manchmal fühle ich mich ein wenig einsam hier.“
Jetzt bin ich wirklich nicht mehr ganz bei Trost …
„Ich muss gehen. Schönen Tag noch, Monsieur Wietermann.“
2. Der Tag, an dem ich 20 wurde
Seit meiner Ankunft in New York bin ich auf mich alleine gestellt und ich muss sagen, dass ich mich bisher wacker geschlagen habe. Und die sechs Monate, die ich bereits an der Rezeption arbeite, haben meinem Selbstbewusstsein auch nicht geschadet. Dennoch ist meine Schüchternheit noch nicht vollkommen verflogen und sie hat mir einen üblen Streich gespielt. Denn das Geständnis, das ich vor Daniel Wietermann abgelegt habe, war einfach nur albern.
Zum Glück habe ich heute Morgen sehr viel zu tun – An- und Abreisen und der Besuch des Personalchefs, Mister Guttierez –, sodass ich keine Zeit habe, über meinen unaufhaltsamen Redefluss, die Wirkung, die Daniel Wietermann auf mich hat, oder die eventuelle Bedeutung seiner Worte nachzudenken.
Kurz vor Mittag erhalte ich einen Anruf:
„Guten Tag, Fräulein Belmont. Hier spricht Candice, die Sekretärin von Monsieur Wietermann. Er wünscht, Sie zu sehen. Auf der Stelle.“
Diese letzten drei Worte hat sie nach einer kurzen Pause und mit besonderer Freundlichkeit hinzugefügt, als ob sie mir eine äußerst erfreuliche Botschaft überbringen würde.
Was er wohl von mir will? Seine Ansprüche von vorhin lasse ich ihm ja noch durchgehen, aber ich bin doch nicht der Spielball seiner Launen!
Tom steht neben mir an der Rezeption.
„
Everything’s all right Julia? You seem annoyed at that phone call…
“
„
Don’t worry Tom. Just a guest who wants to speak to me, but I don’t know about what.
“
„
Again a guest very hard to please…
“
„
Looks like… Could you stay here alone for a while?
“
„
Of course Julia. Good luck!
“
Ich muss Tom nicht auf die Nase binden, um welchen Gast es geht. Ich verlasse meinen Posten und fahre nach oben.
Bevor ich mich bemerkbar mache, lausche ich ein wenig an der Tür der Suite 607. Ich verstehe nicht, worum es geht, aber ich höre Daniel Wietermann, der in einem unerbittlichen Ton Anweisungen gibt. Ich läute. Candice öffnet mir die Tür. Schon als ich sie in der Eingangshalle gesehen habe, war ich völlig fasziniert von ihrem Äußeren. Mit ihren langen Beinen, ihrer schmalen Taille, ihrem üppigen Dekolleté, ihren feuerroten Haaren, ihrem hübschen Gesicht und ihrer aufrechten Körperhaltung ist sie wirklich eine Klasse für sich.
„Kommen Sie herein, Julia. Ich gebe Monsieur Wietermann Bescheid.“
Die Suite 607 ist die größte des gesamten Hotels. In unserer Broschüre habe ich gelesen, dass sie 180 m2 groß ist, allerdings habe ich sie noch nie betreten. Ich stehe alleine im Eingangsbereich und gehe so diskret wie möglich ein paar Schritte weiter, um einen flüchtigen Blick zu riskieren. Zu meiner Rechten erspähe ich einen Salon, dessen Dekor und Atmosphäre warm und exklusiv sind und der rein gar nichts mit der unpersönlichen und standardmäßigen Einrichtung zu tun hat, die in vielen Hotels zu finden ist. Candice hat die Tür zu meiner Linken einen Spalt offengelassen. Ich kann kaum etwas sehen, aber als ich mich ein wenig vorbeuge, entdecke ich eine Art Büro, beziehungsweise ein großes Besprechungszimmer und stapelweise kleine, schwarze Aktenkoffer. Plötzlich öffnet jemand die Tür und diese schwungvolle Geste überrascht mich vollkommen. Ich schrecke hoch, beginne fürchterlich zu schwitzen und werde rot vor Scham, in flagranti bei der Spionage erwischt worden zu sein. Daniel Wietermann steht gegen den Türrahmen gelehnt vor mir. Sein
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