Mr. Fire und ich (Band 8)
des frühen Abends in Angriff nimmt, sehe ich vor meinem inneren Auge Daniels Panik bei seinem überstürzten Aufbruch am Tag nach der Geiselnahme. Keinerlei Erklärung, mehrere Wochen ohne ein Lebenszeichen. Meine Zweifel, meine Ängste, meine Verständnislosigkeit, mein bedingungsloser Glaube an Daniel. Auch an meine Überraschung und Freude, als ich erst eine SMS und dann eine Mail von ihm bekam, erinnere ich mich. Während ich am Parkplatz des Flughafens das Taxi zahle, geht mir meine Rückkehr nach New York durch den Kopf, als mein Leben wegen eines Artikels in der Klatschpresse aus den Fugen geriet, für den Daniel mit seiner Ex-Freundin Clothilde de Saint-André posiert hatte. Die Fotos stammen von letzter Woche, aber Daniel hat nie mit mir darüber gesprochen. Als ich ins Flugzeug steige, sehe ich wieder die Bilder von Daniel in New York vor mir, als er zurück war, um mit mir zusammen zu sein, verliebter denn je. Das Flugzeug hebt endlich ab, während meine Augen zufallen und Daniel und Clothilde, die im Restaurant zusammen essen, vor mir erscheinen. Das war erst heute Mittag. Zu viele Gefühle in zu kurzer Zeit …
Ich träume. Daniel ist da, aber er sieht mich nicht. Er telefoniert mit einer Frau. Er nennt sie „mein Engel, mein Liebling“. Ich tippe ihn an, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass ich da bin. Aber nichts scheint bis zu Daniel vorzudringen, er setzt sein Gespräch mit der
Anderen
fort. Er erzählt ihr, was er Lust hat, mit ihr zu tun: wie er sie fest umarmen will, mit ihr schlafen will … Ich fühle mich immer hilfloser. Ich schreie, brülle, schlage immer heftiger auf Daniels Rücken ein, mit beiden Händen, damit er sich umdreht. Als er sich mir dann endlich zuwendet, steht mir nicht Daniel gegenüber, sondern Diane. Höhnisch lachend wiederholt sie ihre Worte: „Clothilde und Daniel sind so ein schönes Paar!“
Der Ruck beim Aufkommen der Räder auf der Landebahn weckt mich. Nach der Nacht auf dem unbequemen Sitz tut mir alles weh. Nun bin ich also wieder in Frankreich. Sehr schnell kümmere ich mich um die Formalitäten und hole am Gepäckband meinen Koffer ab. Allein in der riesigen Halle, zwischen Geschäftsleuten und Touristen, fühle ich mich einsam und verlassen. Niemand wartet am Flughafen auf mich.
Die Taxis sind sofort in Beschlag genommen. Nach dem Flugzeug nehme ich also den Zug. Mein Koffer ist im Weg: Ich werde von allen Seiten geschubst. Ich bin müde. Ich habe Hunger. Nach einer knappen Stunde in den öffentlichen Verkehrsmitteln bin ich endlich wieder an der frischen Luft und finde etwas, das mich aufmuntert: eine winzige Bäckerei mit einer üppigen Auswahl an Croissants, Schokocroissants und anderem Gebäck. Ich kann mich gar nicht entscheiden.
„Nun, kommen Sie endlich zu einer Entscheidung? Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!“
Kein Zweifel, ich bin zurück. Ich zwinge mich, der griesgrämigen Bäckerin zuzulächeln. Meine Wahl fällt auf zwei Croissants, ein Rosinenbrötchen und ein Baguette. Die New Yorker Pancakes sind zwar eine pure Wonne, aber meiner Meinung nach gibt es nichts Besseres als den Duft von frischem, ofenwarmem Brot.
Auf der Straße lasse ich es mir schmecken. Mit Krümeln und Mehl am Kinn laufe ich zur Wohnung. Ich fluche über das Gewicht meines Koffers.
In Wirklichkeit habe ich Angst. Angst, in einer zu großen Wohnung alleine dazustehen. Angst, eine Trennung zu erleben, ohne mit irgendjemandem darüber sprechen zu können. Angst, weit weg von Sarah, Tom und Daniel zu leben. Was soll ohne sie aus mir werden?
Vor der Tür krame ich in meiner Tasche nach den Schlüsseln. Mit zitternder Hand, bewusst, dass dies der Beginn eines neuen Lebens ist, öffne ich die Tür und ziehe meinen Koffer nach innen. Als ich mich umdrehe, steht plötzlich ein Mann vor mir. Er ist ungefähr dreißig, hat braune Haare und dunkle Augen, aber vor allem ist er nur mit einem Badehandtuch bekleidet, das er um seine Taille geknotet hat. Ich schreie auf.
„Hey, wer sind Sie denn?“
Er scheint genauso überrascht wie ich über diese Begegnung. Meine Stimme zittert, aber ich spreche so laut wie möglich. Wenn in meiner Wohnung ein Eindringling ist, werde ich vielleicht die Unterstützung der Nachbarn brauchen, um ihn hinauszuwerfen.
„Und Sie?“, gibt der junge Mann mit einem ironischen Lächeln auf den Lippen zurück.
„Julia Belmont. Ich wohne hier.“
Ich sehe dem Mann in die Augen. Er ist größer als ich, sodass ich den Kopf heben muss, um ihn
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