Mr. Joenes wundersame Reise
soll sie ihren Zweck wirklich erfüllen, von einem erfahrenen und fähigen Kartenzeichner hergestellt werden muß und zwar unter Beachtung sämtlicher Regeln und Vorschriften, die für Lagepläne und Gebäude gelten; und daß die Karte falsch sein muß und nicht einmal an einer einzigen 221
Stelle unbeabsichtigt die Gegebenheiten innerhalb des Gebäudes richtig darstellen darf.
Um diese Probleme zu lösen, sollten wir annehmen, daß die Beamten einen zivilen Kartenzeichner gefunden haben, der das Gebäude überhaupt nicht kennt. Man bringt ihn also mit verbunde-nen Augen in das Gebäude, setzt ihn in ein sorgfältig bewachtes und abgeschirmtes Büro und gibt ihm den Auftrag, einen Plan von einem imaginä-
ren Gebäude zu zeichnen. Das tut er, doch die Gefahr unwillkürlich richtig dargestellter Sektoren bleibt immer noch bestehen. Deshalb muß ein Kartenzeichner, der das Innere des Hauses kennt, die falsche Karte überprüfen. Der Kartenzeichner der Regierung überprüft also – und niemand sonst als nur ein Kartenzeichner ist kompetent genug, eine solche Überprüfung durchzuführen – und erklärt, daß die Karte hervorragend gelungen ist, da vollkommen falsch.
In diesem Idealfall ist die Karte immer noch nichts anderes als eine Chiffre! Sie ist von einem geschickten zivilen Kartenzeichner erstellt worden und entspricht daher den allgemeingültigen Prinzipien, welchen das Erstellen einer Karte unterliegt.
Der Plan gehört zu einem Gebäude und wird damit den Regeln gerecht, die bei der Erstellung eines Ge-bäudeplans beachtet werden müssen. Sie wurde als falsch bezeichnet; jedoch kam dieses Urteil von einem Kartenzeichner der Regierung, der genau wuß-
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te, wie die Örtlichkeiten in Wirklichkeit aussehen und der daher in der Lage war, ein fundiertes Urteil zu fällen und jedes Detail der Karte einer genauen Kontrolle zu unterziehen. Diese sogenannte falsche Karte stellte also nichts anderes dar als ein umgekehrtes, genau entgegengesetztes Bild der wahren Verhältnisse, welche dem Kartenzeichner der Regierung ja bekannt sind; und die enge Beziehung zwischen dem real vorhandenen Gebäu-de und der falschen Karte wurde durch sein Urteil hergestellt, da er ja Wahrheit und Lüge kannte und ihre fehlende Ähnlichkeit bewertete. Notwendigerweise demonstriert sein vorläufiges Urteil die Art des falschen Plans – welcher als logische Verfrem-dung die Wahrheit verhüllt und insofern durchaus als Chiffre bezeichnet werden kann!
Und da diese Chiffre den Regeln für Pläne und Gebäude gerecht wird, kann diese Chiffre auch auf irgendeine Art entziffert werden!«
Damit ist die Analyse der drei Möglichkeiten hinsichtlich der Karte abgeschlossen. Sie können nun auf eine einzige Version reduziert werden, nämlich daß die Karte stimmt und lediglich in Chiffre vor-liegt.
Wie betäubt durch diese Entdeckung, sagt der Spion:
»Sie dachten tatsächlich, sie könnten mich aufs Kreuz legen, doch in meinem Spezialgebiet haben sie da keine Chance. Trotz meiner nimmermü-
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den Suche nach der Wahrheit und der Wirklichkeit habe ich mein Leben in einem Sumpf von Verrat und Lüge verbracht; jedoch bin ich mir immer meiner eigenen Realität bewußt gewesen. Da ich mich kenne und meine Suche sowieso deren Ergebnisse, weiß ich vor allen anderen Menschen, daß es so etwas wie Lüge oder Falsch nicht gibt, sondern daß alles wahr oder nur chiffriert ist. Ist es die Wahrheit, also eine Tatsache, dann folge ich ihr, und ist es eine Chiffre, ein Rätsel, dann löse ich es. Ein Rätsel ist am Ende nichts anderes als die verschlei-erte Wahrheit.«
Endlich ist der Spion glücklich und zufrieden.
Er hat sich in unergründliche Tiefen vorgewagt, hat sich in die verwirrendsten Erkenntnisse und Schlußfolgerungen gestürzt und den Mut aufge-bracht, sich den schrecklichsten Folgerungen zu stellen. Nun endlich winkt ihm die verdiente Belohnung.
Denn nun, indem er sich ausschließlich auf den Plan konzentriert und diese hervorragend angefer-tigte Schöpfung mit liebender Fürsorge festhält, beginnt der Spion mit der Lösung seiner Aufgabe, welche der Höhepunkt, der Sinn seines Lebens ist und für deren Lösung auch die Ewigkeit ein zu kurzer Zeitraum wäre. Er schickt sich an, die Karte zu dechiffrieren.
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DIE ERKLÄRUNG DES KARTENZEICHNERS
Als der Colonel geendet hatte, standen er und Joenes noch eine Zeitlang schweigend im Korridor.
Dann sagte Joenes: »Ich kann mir nicht helfen, aber mir tut der Spion leid.«
»Das war
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