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Mr. Joenes wundersame Reise

Mr. Joenes wundersame Reise

Titel: Mr. Joenes wundersame Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Sheckley
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bedenkend – tue ich der anderen Seite nicht Unrecht, wenn ich ihr die Fähigkeit und den Willen abspreche, sich ähnlich raffiniert und gerissen zu geben?«
    »Nun gut«, sagt der Spion. »Obwohl Logik und Instinkt mich zu der Überzeugung bringen, daß die Karte in jeder Hinsicht stimmt und ich sie nur nicht lesen kann, weil ich sie bisher nicht dechrif-friert habe und es auch nicht kann, muß ich immerhin die Möglichkeit einräumen, daß sie nur zu einem gewissen Teil falsch und daher an anderen Stellen genau zutreffend ist. Es gibt gute Grün-de zu dieser Annahme. Angenommen der richtige Teil der Karte ist genau der Abschnitt, den der Beamte dringend braucht, von dem ich sie gestohlen habe. Er, der im Besitz eines Wissens ist, über das ich nicht verfüge, würde wohl nur dem Teil folgen, 215
    der den Gegebenheiten entspricht, und ungestört seiner Arbeit nachgehen. Da es sich bei dem Betreffenden lediglich um einen dumpf dahinvege-tierenden Angestellten des Öffentlichen Dienstes handelt, der zudem noch überhaupt kein Interesse für Lagepläne oder Chiffres aufbringt, würde er ausschließlich dem richtigen Teil des Planes folgen, mit seiner Hilfe sein Büro aufsuchen und den falschen, irreführenden Teil der Karte vollkommen ignorieren. Die Karte selbst, auf der in geradezu genialer Weise falscher und irreführender Teil miteinander verwoben wurden, würde ihn nicht im mindestens interessieren. Und warum sollte sie es auch? Seine Arbeit hat mit Karten dieser Art nichts zu tun. Er interessiert sich für falsch und richtig bei seiner Karte ebensowenig wie ich ihn nicht nach dem Sinn und Zweck seines blödsinnigen Jobs frage. Ebenso wie ich hat er keine Zeit und keine Lust, über komplizierte Sachverhalte nachzudenken, die seiner Arbeit nicht dienlich sind. Er kann die Karte allerdings benutzen, ohne seinen Gefühlen Gewalt antun zu müssen.«
    Der Spion ist zugleich belustigt und betrübt, wenn er sich den Mann vorstellt, wie er die Karte benutzt und dabei kein weitergehendes Interesse dafür aufbringt. Wie sonderbar die Menschen doch manchmal sein können! Wie komisch, daß dieser Beamte die Karte wie selbstverständlich benutzt, sich jedoch niemals über ihre mysteriöse Struktur 216
    Gedanken gemacht hat; während der Spion sich völlig darüber klar ist, daß einzig und allein von Bedeutung ist, die Karte voll und ganz zu verstehen und zu erkennen, was sie darstellt. Aus diesem Verständnis heraus wird alles andere folgern, und die Geheimnisse des gesamten Gebäudes werden offen zutage treten. Das alles erscheint dem Spion so simpel und selbstverständlich, daß er einfach nicht fassen kann, mit welchem Desinteresse, welcher Gleichgültigkeit der Beamte mit dem Plan verfährt. Das Interesse des Spions erscheint ihm selbst so natürlich, so notwendig, so universell, daß er beinahe davon überzeugt ist, in dem Beamten keinen Menschen vor sich zu haben sondern eher schon den Vertreter einer anderen Spezies.
    »Aber nein«, sagte er sich. »Mag sein, daß ich zu dieser Überzeugung neige, doch der wahre Unterschied zwischen mir und dem Beamten liegt wahrscheinlich in unserer Herkunft oder unseren unterschiedlichen Umwelteinflüssen oder sonst etwas in dieser Richtung. Das soll mich aber nicht verwirren. Ich habe an sich immer schon gewußt, wie rätselhaft und kaum zu begreifen der Mensch ist.
    Selbst Spione, die wohl am einfachsten zu begrei-fenden Leute auf Erden, haben verschiedene Methoden und vertreten verschiedene Meinungen. Ja, es ist schon eine verrückte Welt, und ich habe im Grunde wenig Ahnung von ihr. Was weiß ich schon von Geschichte, Psychologie, Musik, Kunst oder Li-217
    teratur? O sicher, ich könnte über diese Themen stundenlange Gespräche führen, doch im Grunde meines Herzens weiß ich, daß ich in diesem Bereich nur sehr wenig Ahnung habe.«
    Der Spion ist darüber höchst unglücklich. Doch dann denkt er: »Zum Glück gibt es doch immer noch eine Sache, die ich völlig begreife. Und das ist das Spionieren. Kein Mensch kann in allen Be-reichen perfekt sein, und ich habe es doch eigentlich ganz gut geschafft, auf meinem Gebiet zu einem Experten zu werden. In diesem Expertentum liegt meine Hoffnung und mein Trost. In dieser Ein-geengtheit, dieser Begrenztheit liegt meine wahre Tiefe und mein Maßstab, den ich an die Welt anle-ge. Immerhin weiß ich eine ganze Menge über die Geschichte und die Psychologie des Spionierens, und ich habe auch die meisten Bücher über dieses Thema gelesen.

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