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Mr. Lamb

Mr. Lamb

Titel: Mr. Lamb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Nadzam
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Richtung Osten.
    Er legte dem Mädchen den Arm um die Schultern, und als sie zu ihm aufsah, hockte er sich neben die Abfalltonne, nahm ihr Gesicht in die Hände, wischte ihr mit dem Ärmel die Tränen von den sommersprossigen Wangen, fuhr ihr mit dem Daumen über die Lippe und wischte sich den Rotz an seiner Jeans ab. »Möchtest du nach Hause, Tommie? Soll ich dich nach Hause zu deiner Mutter bringen?«
    »Ja.« Das Schluchzen brach aus ihr heraus, und sie prustete und atmete stockend. »Nein.« Sie sah ihn hilfesuchend an.
    »Komm«, sagte er. »Wir setzen uns ins Auto. Lass uns das besprechen.«Er nahm sie bei der Hand und führte sie zum Wagen. Als sie saßen, legte er sein Mobiltelefon ins Handschuhfach und klappte es zu. »Wir drehen um. Wir fahren die ganze Nacht durch, ja? Von dem hübschen weißen Hotel, wo wir übernachtet haben, kannst du zu Fuß nach Hause gehen. Oder ich gebe dir das Geld für ein Taxi. Dann gehst du zurück in eure Wohnung und siehst deine Freunde wieder. Deiner Mutter erzählst du, du hättest dich im Wald verlaufen und wärst tagelang nicht aufgewacht. Wie das kleine Mädchen im Märchen.«
    Sie saß auf dem Beifahrersitz, nickte und zog die Nase hoch.
    »Es tut mir leid, Tom. Das hier war eine schlechte Idee. Ich hätte das wissen müssen. So etwas macht man nicht, oder? Das ist kein gutes Verhalten. Ich bin der Ältere, ich hätte das wissen müssen.«
    Das Mädchen verbarg den Kopf in den Händen. »Ich krieg solchen Ärger.«
    »Nein, das glaube ich nicht. Bestimmt nicht. Alle werden so froh sein, dich wiederzuhaben. Du musst die Sache jetzt nur mir überlassen. Ich besorge dir etwas Gutes zu essen, dann mache ich dir ein Bett auf dem Rücksitz, damit du schlafen kannst, und bevor du weißt, was geschieht, wachst du da auf, wo du zu Hause bist.«
    »Ist gut.«
    »Und ich mache mich aus dem Staub, damit du in dein altes Leben zurückfindest. Neunhundert Tage, und die Stadt ganz für dich. Vielleicht komme ich in ein paar Jahren wieder nach Chicago, und dann stiehlst du dich von deinen Freunden und Freundinnen fort, um dem alten Gaul von früher ein bisschen Gesellschaft zu leisten. Du holst ihn aus seinem turmhohen Stahlhotel raus, ja? Dann rennen wir ein bisschen durch das hohe Gras, bevor du zur Algebra-Stunde wieder in der Schule sein musst. Einverstanden?«
    »Ich will weiterfahren. Ich will weiterfahren.« Sie wedelte mit der Hand vor der Windschutzscheibe. »Los«, sagte sie. »Fahr.«
    Der Mann nahm ihre Hand. »Einen Moment bleiben wir noch hier stehen.« Er wartete, bis sie aufgehört hatte zu weinen, dann fuhr er von der Zapfsäule weg und hielt neben einer kaputten Telefonzelle. »Wir machen gar nichts, solange ich nicht vollkommen sicher bin, dass du es auch willst.« Sie nickte und wischte sich am nackten Unterarm die Nase ab. »Oh nein«, sagte er, »nicht so.« Er klappte das Handschuhfach auf und holte ein Papiertaschentuch heraus. »Hier«, sagte er. Er tupfte ihr die Tränen ab und hielt ihr das Taschentuch vor die Nase. »Jetzt«, sagte er. »Mach schon.« Sie sah ihn aus roten verweinten Augen an. »Fester«, sagte er. »Na. Das war schon ganz gut. Da steckt doch ein bisschen Kraft dahinter.« Er ließ seine Hand in ihren Schoß sinken. »Mein Gott«, sagte er und sah sie an, »das ist ja ein wirklich außergewöhnliches Geräusch. Du klingst wie eine Gans. Oder wie ein Seetaucher. Mach das noch mal.« Er hielt das Taschentuch hoch, und sie lachten beide.
    »Besser?«
    »Besser.«
    Er drehte beide Seitenfenster runter und schaltete den Motor ab. Das Geräusch vorbeifahrender Autos und Vogelgesang füllten den Innenraum. »Also gut«, sagte er, »lass uns vernünftig drüber sprechen. Was sind die Tatsachen?«
    »Ich benehme mich wie ein Baby.«
    »Das ist keine Tatsache. Das ist eine Deutung, und keine, mit der ich besonders einverstanden bin. Ich gebe dir ein Beispiel von einer Tatsache. Wir sind in South Dakota. Tatsache.«
    »Gut. Es ist früh am Abend.«
    »He.« Er zog eine Augenbraue hoch. »Das war ein hübscher kleiner Satz, Tom.«
    Sie lächelte.
    »Was hast du sonst noch zu bieten?«
    Sie wartete und sah ihn an. »Ich renne von zu Hause weg.«
    Lamb machte die Augen weit auf. »Wirklich?«
    Sie senkte den Blick auf das Papiertaschentuch, das zerknüllt in ihrer Hand lag. »Ich glaube schon.«
    »Oh, Tommie.« Er starrte aus dem Fenster. »Wie soll ich mich denn jetzt fühlen?«
    Nichts.
    »Das hättest du mir sagen können. Dachtest du, ich nehme dich

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