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Mr. Lamb

Mr. Lamb

Titel: Mr. Lamb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Nadzam
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den hellen Kopf.
    »Du weißt genau, wie es ist, ich zu sein«, sagte er. »Oder? Du siehst mich doch, oder?«
    Sie nickte in seine Brust.
    »So ist es. Du kannst das. Du bist mein Zwilling. Dein Herz ist an meins geschmiedet. So ist es doch. Siehst du das nicht?«
    In der Nacht wachte sie auf von seinem Weinen. Es war ein heftiges Weinen. Sein Gesicht war verzerrt und gerötet, die eine Hand lag auf ihrem Kopf, die andere auf ihrer Hüfte, seine Brust nackt und faltig und fein behaart mit grauem Haar, die Haut an der Unterseite der Oberarme, an den Unterarmen und den Handrücken schon leicht erschlafft. Sie wandte ihm ihr Gesicht zu. »Ich habe dir wehgetan«, sagte er, »doch, doch, das habe ich. Mache ich dir dein Leben kaputt? Sag mir, dass ich dir dein Leben nicht kaputt mache.«
    Sie berührte seinen Hinterkopf, sein struppiges Haar, und er griff nach ihrer Hand und drückte sie an den Mund. Dass es in der Welt solche Freundlichkeit gab, dass sie ihm galt!
    Aber sie sagte nichts, und noch nie im Leben hatte er solches Bedauern empfunden. Mit großer Willensanstrengung wendete er sein Weinen in ein Lachen. »Oh, es tut mir leid. Es tut mir leid. Ein großer, hässlicher Mann, der weint. Ich mache dir Angst.«
    Vor dem mit Tüchern verhängten Fenster stand, das wusste er, Alison Foster in einem feinen bläulichen Schauer von Schnee. Und merkte sich alles genau.
    »Es ist in Ordnung«, sagte das Mädchen. »Bei mir ist alles in Ordnung. Sieh doch.«
    Er hob den Kopf und sah sie an, betrachtete sie vom Haaransatz bis zu den schmutzigen Fingernägeln. »Das stimmt. Du bist ganz und gar heil.« Und er nahm sie in die Arme und hielt sie fest, und seine Hände strichen ihr über Beine und Arme und Schultern und Kopf.
    Als sie wieder eingeschlafen war, ging er raus, um nach Foster zu sehen. Er ging um die Werkstatt herum und um die Hütte. Er holte seine Taschenlampe, ging zu den eingestürzten Schuppen und leuchtete hinein. Er ging zum Fluss und spähte zwischen den Bäumen hindurch. Er schien mit der Lampe die Straße entlang und suchte in der feinen Schneeschicht nach Fußspuren. Dann ging er, wie er es jeden Abend gemacht hatte, zu Fosters Haus und sah die alte Frau, die in ihrem Krankenhausbett im orangegelben Lichtschein mechanisch atmete, er ging um das Haus herum und sah von außen in das leere Schlafzimmer hinein, dann ging er wieder nach vorn zu dem Zimmer, in dem Foster vor dem blau flackernden Fernsehschirm schlief.
    * * *

Am Morgen war der Himmel hell wie poliertes Silber. Schnee bedeckte Lambs Stiefel und reichte ihm bis zu den Knöcheln. Nach Norden hin endete die Wolkendecke, eine strahlend blaue Linie Tageslicht verlief wie ein Schnitt gleich unterhalb der Wolken – eine Täuschung, von der Entfernung bewirkt.
    Am Ende des Fahrweges, beim Zaun, beugte er sich vornüber und sah sich um. Niemand beobachtete ihn, oder? Niemand, der ihn sah und sich daran erinnern und es melden würde, und er übergab sich in den Schnee. Dann richtete er sich auf und scharrte Schnee darüber und ging auf die Straße.
    Er suchte im Schnee nach Fosters Fußspuren, aber der meiste Schnee war nach Mitternacht gefallen. Mit seiner dicken Schafslederjacke bekleidet rasierte er sich am Fluss und spülte sich den Mund mit eiskaltem Wasser aus, dann ging er rein und fing an, in der Hütte und in der Werkstatt aufzuräumen: Er las ihre schmutzigen Socken, ein Haargummi und den kleinen gelben Pullover auf. Er holte aus dem Auto alles, was nicht ihm gehörte, brachte es in die Werkstatt und betrachtete sie in ihrem Schlaf. Er ging wieder in die Hütte, holte ein paar fadenscheinige Handtücher, stopfte sie um die Fensterrahmen und verklebte sie zur besseren Isolierung mit braunem Band um die Fenster.
    »Packst du?« Das Mädchen richtete sich im Bett auf, die Wangen vom Schlaf gerötet.
    »Nein, Liebes. Ich räume auf, bevor die Gäste kommen.«
    »Welche Gäste?«
    »Sollten wir nicht Gäste haben? Ein Abendessen am Feuer?«
    »Du bist verrückt.«
    »Pst.« Er setzte sich auf die Bettkante und zog ihr eine Mütze auf den Kopf. »Ich habe noch kein Feuer gemacht. Es ist kalt. Du siehst schön aus, so verschlafen, das Gesicht ganz verquollen von Schlaf.«
    »Hat es geschneit?«
    »Und wie. Aber bis Mittag ist der Schnee wieder weg.«
    »Oh.«
    »Möchtest du rausgehen und gucken?« Er steckte sein Gesicht in ihr Haar. Es roch so, wie Haar riecht, wenn es draußen kalt ist – wenn Schnee liegt. Metallisch, faserig. »Ist dir warm

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