Mr. Lamb
schafft es nicht, David einzuholen, und er kriegt auch keinenRosinenkeks, auch keinen Dime, und von Superman hat er keine Ahnung. Wie sollte er auch? Er ist Nel.
Dann ist es zehn Jahre später, und es scheint, dass überall in der Stadt der Geruch von weichem Teer und Benzin hängt und in der Ferne Geräusche von zerberstendem Glas und kreischenden Autoreifen zu hören sind und dass Les Brown und Doris Day aus dem Schlafzimmerfenster seines Schürzenjäger-Vaters singen.
Als junger Mann trägt David jeden Tag ein sauberes, gestärktes Hemd mit Knöpfen am Kragen. Beim Autofahren hält er das Lenkrad in der Position von zehn vor zwei Uhr, und er steuert den Wagen von der Straße weg, quer über das brachliegende Feld, unter dem Beifahrersitz ein paar Flaschen gekühltes Bier. Er ist der Einzige, dem seine Mutter ein Auto gekauft hat, und seit sie tot ist, fährt er damit, wohin er will. Warum auch nicht? Von seinem Vater wird er niemals einen Dime bekommen, auch wenn Henry und Mark einfach weggegangen sind und sie in diesem Loch sitzen gelassen haben, einschließlich Dad. Auch wenn Dad nichts essen würde, wenn David nicht da wäre und dafür sorgen würde, auch wenn er keine sauberen Sachen zum Anziehen hätte und wahrscheinlich verhaftet würde, weil Nel nicht zur Schule geht und sich stattdessen herumtreibt und Bücher liest und hinter der Tankstelle schläft. Im Haus schläft er schon lange nicht mehr.
Als sie ihm das Auto kaufte, war es fast neu, und jetzt ist die Karosserie von Rost zerfressen, weil er damit durch die Bachläufe fährt, und der Vergaser funktioniert nicht mehr einwandfrei, das kann er hören.
Als Nächstes verschwindet Nel. Eines Abends geht er wie immer zum Schlafen hinter die Tankstelle, und am Morgen ist er verschwunden. Niemand weiß, wohin, niemand sucht ihn, niemand macht sich was draus. In der Nacht damals ist er verschwunden,wohin er auch gegangen sein mag, fünfzehn Jahre alt, und kein Lamb hat ihn je wieder gesehen.
Dann kommt Cathy zu David und holt ihn aus dem leeren Haus und setzt ihn an ihren Küchentisch mit einem Bier und einem Bratensandwich – von allen auf der ganzen Welt hat sie sich ihn ausgesucht.
Die Hand von jemandem zwischen seinen Schulterblättern. Ein gebügelter Anzug. Eine Harke. Vor ihm ein Schreibtisch aus Metall. Telefone klingeln, und er sucht seinen kleinen Bruder. Irgendwas beißt in jeden einzelnen Wirbel seiner Wirbelsäule und zwingt seinen Blick nach unten, und der landet auf dem dicken weißen Beton zu seinen Füßen.
Keine Stimmen. Keine Vögel. Kein Glenn, auch keine Gruppe von Jungen, und kein Nel. Um ihn herum Asphalt, wohin das Auge blickt, in jeder Richtung. Er ist auf einem Parkplatz. Chicago. In einem Mercedes. Mit seinem Vater, der inzwischen tot ist. Und das Gesicht jedes Fremden ist sein eigenes: leer, hager, des Fahrens müde, des Essens müde. Und er ist Zeuge davon, wie alles Gute und Anständige in der Welt erniedrigt und zerstört wird, es ist einfach so. Wenn einer das weiß, dann David Lamb.
In ihm steckt ein kleiner Mensch, der Tommie all das erzählen will, und ein anderer Mensch in ihm will diesen Wunsch zerdrücken wie leere Bierdosen an einer Backsteinwand. Lamb ist nicht dumm. Er kennt das Ende der Geschichte. Er weiß, dass er sein Versprechen halten wird – das einzige, was er halten kann. Er wird sie wieder auf dem Parkplatz absetzen, wenn Linnies Besuch vorbei ist. Genau an der Stelle, wo er sie gefunden hat. Und wenn sie weggeht und in einem Jahr, oder in zwei oder drei Jahren, zu ihm zurückblickt, wird sie ihn hassen. Aber er hat sie gerettet. Er wird sie in silbrigem Licht versiegeln und zu ihrer Mutter zurückbringen. In die Arme ihrer Mutter.
Und er wird in seinem Wagen sitzen, beide Hände am Steuer, und lächeln, dass alle Zähne zu sehen sind, und hinter ihr hersehen. Und der Wind weht Schmutz in sein Haar, und in seinem Herzen wird keine anständige Stelle bleiben, denn in all der Zeit, in der er dem Nichts hinterhergejagt ist, hat er sie weggeschrubbt, hohl geschrubbt, und nichts wird die Leere mehr füllen, nur die Wörter, die macht er so schön, wie er kann. Ein Satz, der – das hofft er – tragen wird, als wäre er der Wind, als würden die Samen von Schilf und Gras mit blauen Ähren darauf getragen. Als könnten die Buchstaben seine Knochen richten und sein Leben neu ankurbeln.
Mit seiner großen Hand fuhr er in ihr feines, zerzaustes Haar und achtete darauf, nicht zu ziepen. Er küsste sie auf
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