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Mr. Lamb

Mr. Lamb

Titel: Mr. Lamb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Nadzam
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oder die Teller gewaschen hätten.
    Sie hielt den Atem in ihrer sommersprossigen Brust an und machte die Tür leise auf, nur einen Spalt von zehn Zentimetern und ohne jedes Geräusch, sie blieb still stehen und blickte indie Werkstatt hinein und wartete, dass ihre Augen sich an das Licht gewöhnten. Mondlicht fiel auf den Betonboden und die aufgetürmten Wolldecken vor dem Ofen, unter denen sich die Erwachsenen bewegten. Das weiße Oval von Lambs Gesicht sah über Linnies Kopf hinweg zu ihr auf. Das Licht fiel so, dass Tommie den weißen Streifen sah, den es in Linnies dunklem Haar machte. In dem silbrigen Dunkel waren Lambs Augen blau und weiß. Sein Gesicht war zuerst vor Konzentration verzerrt, dann entspannte es sich, seine Augen öffneten sich, und er lächelte schwach. Tommie wich nicht zurück. Sie atmete nicht scharf ein, sie weinte auch nicht. Sie blieb stehen und sah zu. Zehn Sekunden, zwanzig, dreißig. Dafür liebte er sie. Ihr Mund leicht geöffnet, die Augen geweitet, sie war gebannt, wie festgenagelt. Lamb hielt einen winzigen Moment inne, und Linnie hob den Kopf und legte beide Hände an sein Gesicht, worauf er wieder anfing, sich zu bewegen, und zu ihr hinunterlächelte, dann wandte er sein Gesicht Tommie zu, und ihre Blicke verhakten sich ineinander. Er bewegte sich stumm und sah Tommie an, und als er schließlich die Augen schloss und sein Kinn hob und die Zähne aufeinanderbiss, schlich Tommie sich in die Kammer zurück, kroch in den Schlafsack und schlief ein, das Gesicht von Tränen und Rotz verklebt, bis Lamb hereinkam und sie ganz sanft, ganz vorsichtig weckte und sagte: Jetzt kennst du alle meine Geheimnisse, mein Liebes. Du lebst praktisch in meinem Herzen.
    »Du hast dein Nachthemd an.«
    Sie nickte.
    »Hast du mich auch noch lieb?«
    »Ja«, flüsterte sie.
    »Musst du aufs Klo? Komm. Komm nach draußen.« Er öffnete die Seitentür, die zu der alten Pferdetränke führte. »Hier. Zieh einfach das Nachthemd hoch.«
    Sie zögerte. Sah ihn an, sah auf das welke Gras, sah wieder zu ihm.
    »Komm schon«, sagte er. »In zwanzig Minuten musst du wieder drinnen sein. Wir haben nicht die ganze Nacht.«
    Als sie fertig war, legte er ihr seine Jacke über, und sie gingen den kurzen Weg von der Werkstatt und setzten sich auf die kalte Wiese bei den kleinen Rinnsalen, die vom Fluss durch ein Bett von braunem Amaranth und welker Goldrute flossen.
    »Wie soll ich dich jetzt nennen? David?«
    Lamb hielt den Kopf gesenkt. Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Komm her«, sagte er. Er setzte sie sich zwischen seine Beine, so dass ihr Rücken an seiner Brust lehnte. »Es ist so, wie du Emily bist.« Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht und in die Kapuze seiner Jacke.
    »Das war ein Spiel.«
    »Nein, das war kein Spiel«, sagte er schnell. Er drehte ihr Gesicht zu sich um. »Nimm das zurück. Es ist kein Spiel. Alles, was ich ab jetzt in meinem Leben mache, ist zum Schutz dessen, was wir entdeckt haben. Verstehst du das? Du bist mutiger als ich, Tom. In meinem Leben hat es nicht nur nette Menschen gegeben. Deshalb mache ich manchmal Dinge, die wirr und unverständlich scheinen, verstehst du? Ich habe nicht richtig verstanden, was da geschehen ist, als wir uns begegnet sind. Ich wusste nicht, wohin es führen würde. Glaubst du mir das?«
    Nicken.
    »Es spielt keine Rolle, wie wir uns nennen, oder? Das sind doch nur Namen.«
    »Ich weiß nicht.«
    »Wie immer du mich nennst – John oder Depp oder Hurensohn …« Da lächelte sie. »… Du würdest mich doch in meinem Innersten kennen, oder? Du weißt doch, wer ich bin, oder nicht?«
    »Ja.«
    »Und ich weiß, dass du das weißt. Das ist ja das Ungewöhnliche. Komm näher. Noch näher. Ja. Es ist kalt, nicht? Niemand hat mich je so gekannt wie du mich. Du riechst wie ein kleines, gesundes Tier.« Sein Gesicht war wieder ganz ernst. »Wir haben uns genau erkannt, Tom, nicht wahr? Verstehst du, dass so etwas nicht mit anderen Menschen passiert? Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich weiß, was andere Menschen sagen würden.« Er drückte seinen Daumen hart auf die Stelle, wo ihre Rippen mit dem Brustbein verwachsen waren. Sie blinzelte und sah ihn an. »Der Körper lügt nicht, Tom. Er kann gar nicht lügen.«
    »Was ist mit dir und dieser Frau?«
    »Es war nicht das, was du denkst. Ich erkläre dir, was es war – ich werde es dir ganz genau erklären. Aber wenn es einmal umgekehrt ist, Tom« – Tränen stiegen ihm in die Augen, und seine

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