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Mr. Lamb

Mr. Lamb

Titel: Mr. Lamb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Nadzam
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Stimme versagte –, »dann will ich es nicht wissen, okay?« Er flüsterte, dicke Tränen rannen ihm über das faltige Gesicht. »Sag es mir nicht, ja? Schwör mir, dass du es nicht sagst.«
    »Mag sie dich noch?«
    »Sie ist in mich verliebt, ja.«
    »Magst du sie?«
    »Sieh mich an, Tom. Sieh mir in die Augen. Nein. Ich mag sie nicht mal ein bisschen. In gewisser Weise hasse ich sie. Und ich benutze das Wort nicht leichtfertig. Sie ist verwöhnt und egoistisch.«
    »Klingt wie Sidney.«
    »Das ist ein guter Vergleich. Wie eine erwachsene Sidney.«
    »Möchte sie dich heiraten?«
    »Ich glaube schon. Geht es so? Darf ich dich so halten?«
    Nicken. »Wie lange bleibt sie?«
    »Noch einen Tag. Vielleicht zwei. Ich werde unseretwegen mit ihr zusammen sein. Verstehst du das?«
    »Ich bleib besser in der Schlafkammer.«
    »Meinst du wirklich?«
    »Ich bleib besser da drin, bis sie wieder fährt. Dann weiß sie gar nicht, dass ich hier bin.«
    »Meinst du das ehrlich?«
    »Was sollen wir sonst tun?«
    »Nein«, sagte er. »Du hast recht. Du bist mir praktisch einen Schritt voraus.« Er grinste sie an.
    Sie fuhr sich mit der Hand unter der Nase entlang und schniefte. »Es ist nicht schlimm«, sagte sie. »Ein bisschen wie zelten.«
    »In der Schlafkammer?«
    »Ja.«
    »Und ich besuche dich, wenn es eine Gelegenheit gibt, einverstanden?«
    »Ist gut.«
    »Und du kannst zur Seitentür rausgehen, wenn du pinkeln musst. Ja?«
    »Ist gut.«
    »Und dass wir drüben in der Hütte sind – das siehst du daran, dass ich das kleine Licht als Signal anlasse. Du weißt, die Lampe auf der Werkbank? Die lasse ich an, als Zeichen, dass du rauskommen und an den Kühlschrank gehen kannst. Ich meine die Kühlbox. Ja?«
    »Ist gut.«
    Er hob ihr Kinn und küsste sie auf den Mund. »Du nennst mich weiter Gary, oder? Versprich mir das, ja? Versprich mir, dass du mich immer Gary nennen wirst.«
    »Warum?«
    »Weil niemand sonst in der Welt mich Gary nennt. Du bist der einzige Mensch, der mich so kennt. So, wie ich der Einzige bin, der dich als Emily kennt. Das sind unsere wahren Namen.Wenn du durch mein Fleisch gucken könntest« – er nahm ihre Hand und legte sie sich auf die Brust –, »dann würdest du sehen, dass auf meinem Herz Gary steht.« Er küsste sie auf die Schläfe, auf die Stirn und auf den Mund. »Du hast dich großartig verhalten.« Er küsste sie wieder. »Du hast uns gerettet, weißt du das? So, wie du es gesagt hast. Und wir haben das Glück auf unserer Seite. Ich möchte dir etwas erzählen, was ich noch keinem erzählt habe, ja? Ich habe es noch nie jemandem erzählt.«
    »Was?« Sie richtete sich auf und sah ihn an.
    »Ich erzähle dir das, damit du weißt, wie teuer du mir bist. Es hat mit meinem Bruder zu tun.«
    »Du hast einen Bruder?«
    »Ich habe drei Brüder.«
    »Oh.«
    »Du erzählst niemandem davon, Tom, oder? Das versprichst du mir, ja?«
    Sie nickte.
    »Mein kleiner Bruder, Tommie. Er ist verschwunden.«
    »Wohin?«
    »Das weiß niemand. Er war so alt wie du, ein bisschen älter. Er war zwölf.«
    »Ist er entführt worden?«
    Lamb flüsterte jetzt. »Ich weiß es nicht, wir haben es nie erfahren. Er hat immer in einem Schlafsack hinter der Tankstelle geschlafen.«
    »Warum?«
    »Unser Zuhause war sehr traurig. Ich glaube, du weißt, wie das sein kann. Und eines Morgens ist er … er ist einfach nicht gekommen. Und danach nie wieder.«
    »Nie wieder?«
    »Nie wieder.«
    Einen Moment lang war sie still.
    Und siehe. Zwei Tage verbrachten Lamb und Linnie und Tom auf diese Weise – der frühe, dunkle Morgen mit Tommie in der Schlafkammer, sie in ihrem schönen Nachthemd, er in seiner großen Schafsfelljacke; dann Frühstück mit Linnie in der Hütte, auf der Ausziehcouch – Radiomusik und Würstchen aus der Dose und Mandarinen, die sie mit den Fingern aßen; die Abende mit Linnie am Feuer draußen, eine Zigarette, die sie im Dunkeln teilten, der Geruch von Schnee und kalter Erde und welkem Gras im Wind; dann mit einem Stück Schokolade oder einem Kuss oder einem Schluck Whiskey im Mund als Überraschung zu dem Mädchen, das warm in seinem Schlafsacknest lag. So viel Liebe, über sie gebreitet, süße Tage, für sie alle. Das hätte auch jeder von ihnen gesagt.
    * * *
    Es war am späten Nachmittag und schon dunkel, als Linnie und Lamb auf ihrer Ausziehcouch unter all den Decken und der Tagesdecke, die er über alles gebreitet hatte, aufwachten. Sie setzte sich auf und sah aus dem Fenster hinter

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