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Mr. Lamb

Mr. Lamb

Titel: Mr. Lamb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Nadzam
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seinem Arm. »Wie, es spukt?«
    »Weiter oben an der Straße wohnt ein Mann.«
    Sie nickte.
    »Er ist über siebzig, vielleicht achtzig. Vor ein paar Jahren hatte seine Frau einen Schlaganfall, und jetzt liegt sie im Bett – ein Pflegefall, verstehst du? Leblos, außer dass sie atmet. Es zerreißt einem das Herz, wenn man das sieht.«
    »Oh, nein.«
    »Also, sie hatten eine Tochter.« Er nahm Linnie am Arm und führte sie aus der Kammer zum Ofen, wo sie die Decken auf dem Flickenteppich ausgebreitet hatte. Er setzte sie darauf, als wäre es eine Picknickdecke auf einer schmutzigen Betonwiese. »Und Foster – das Haus hier hat seinem Schwager gehört. Er hieß Calhoun.«
    »Gespenstischer Name.«
    »Ich weiß. Mit Vornamen hieß er Smiley, und sie … willst du ein Kissen?«
    »Ein Kissen?«
    »Ich glaube, die Kissen da drinnen waren in Ordnung.« Linnie sah ihm zu. Im Zimmer nahm er eins der Kissen, die neben Tommie lagen, und berührte mit der Hand ihren Kopf. »Alles in Ordnung«, flüsterte er. »Es tut mir leid. Es wird schon gehen. Ich komme so bald wie möglich wieder.«
    Er kam mit dem Kissen heraus. »Die beiden waren engeFreunde. Smiley hatte Foster mit seiner Schwester bekannt gemacht. Bei ihrer Hochzeit war er Trauzeuge. Er selbst hat nie geheiratet, weil er … er war ein bisschen komisch. Nicht schwachsinnig – aber er war mit einem Fuß in seiner eigenen Welt. Immer ein halbes Lächeln, ein umherschweifendes Auge.«
    »Daher der Name.«
    »So ist es. Foster aber, der war durch und durch normal. Und strikt, während Smiley ein bisschen aus der Spur war. Aber in den fünfziger und sechziger Jahren waren die beiden überall als Cowboys unterwegs. Sind vor Sonnenaufgang aufgebrochen, nur sie zwei, Rasiermesser und Kamm in der Hosentasche, Pökelfleisch und Kekse und Fallendraht in den Taschen, und dann sind sie losgezogen und waren fünf, acht, zehn Tage unterwegs. Manchmal hatten sie Arbeit, manchmal zogen sie einfach auf Pferden über die Hochebene und streiften durch die Wälder. Calhoun hat nie geheiratet, deswegen war Fosters Frau – die jetzt krank ist – für alle die Mutter. Sie hat ganz gern getrunken, aber sie war nett. Sie waren eine etwas seltsame Familie da oben, und über die Jahre haben sie sich immer gegenseitig geholfen. Jedenfalls, nachdem Foster und Calhouns Schwester ein paar Jahre verheiratet waren, bekamen sie endlich eine kleine Tochter.«
    »Wie hieß sie?«
    »Emily.«
    »Du mit deinen Emilys.«
    »Linnie, es ist dasselbe Mädchen.«
    Sie zog eine Augenbraue hoch. »Da komme ich nicht mit.«
    »Wenn du hier zwei Nächte mit mir verbringst, dann wirst du es sehen.«
    »Ist sie ein Geist?«
    »Hör dir die Geschichte an.«
    »Ich dachte, du hättest sie von der Schaukel gestohlen.«
    »He«, sagte er, »ich erfinde das alles beim Erzählen. Möchtest du hören, wie es weitergeht?«
    »Erzähl.«
    »Sie ist ein sehr nettes Mädchen. Emily Rose. Schönes blasses Haar und kleine steinblaue Augen. Nicht besonders hübsch oder klug, einfach ein normales Mädchen, verstehst du?«
    Linnie schüttelte den Kopf. »Du bist ein echter Sexist.«
    »Oh, Linnie, verschon mich. Sie war einfach ein nicht sehr kluges Mädchen, ja? Es gibt auch nicht sehr kluge Jungen.«
    »Erzähl weiter.«
    »Also, irgendwann ist das Mädchen zehn oder elf, und um diese Zeit kommt Calhoun auf die Idee, dass er eine Werkstatt braucht. Diese Werkstatt. Natürlich bittet er Foster um Hilfe. Zusammen bauen sie die Werkstatt – sie scheuen die Arbeit nicht und sind anständige Menschen, gute Handwerker, sie ehren das Handwerk, verstehst du? Als Erstes heben sie das Fundament aus. Sie mieten einen Bagger und nehmen das Projekt wirklich ernst. Ein Projekt für den Frühsommer. Sie gießen das Fundament, sie bringen den Betonstahl an, gießen den Zement ein und sichern die Stahlstangen mit Riegeln. Sie befestigen die Wandverschalung und benutzen ein Trägersystem« – er sieht Linnie an und zeigt nach oben – »um das Dach zu bauen. Das alles dauert über einen Monat – viel länger als eigentlich nötig. In den ersten zehn Tagen läuft alles prima. Jeden Tag kommt die Frau mit dem Kind zur Hütte, und es gibt ein großes Abendessen. Gebratenes Hühnchen, den ersten Salat, Kartoffeln und Limonade. Schweinekotelett und Nudelsalat. Anschließend hilft Foster seiner Frau beim Aufräumen, Calhoun macht sich irgendwo zu schaffen, und das Kind klettert über die Felsen in den alten Pappelwald. So geht die

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