Mr. Peregrines Geheimnis: Roman (German Edition)
obwohl Mr. Peregrine ja gesagt hatte, dass auch er eine Art Leihgabe war.
Als er dann allerdings nach drei Portionen Zuckerschoten und Tofu wieder in seinem Zimmer war, fragte er sich, wieso er sich überhaupt so beeilt hatte. Schön, der Spiegel war hübsch und alt, und ihm gefiel die Vorstellung, etwas Besonderes zu besitzen, von dem sonst niemand wusste … Trotzdem begann er sich, nachdem er sich ein paar Minuten lang im Glas betrachtet hatte, zu langweilen. Er zog ein Buch aus dem Regal und setzte sich aufs Bett, und während die Sonne unterging und er las, nahm er ein paar Schluck von dem »Tee«, den seine Tante ihm gemacht hatte.
Dieses Mal war er zwar nicht eisgekühlt, aber sie hatte den Teebeutel nur in lauwarmes Wasser gelegt, sodass er nicht richtig aufgebrüht war. Er schmeckte dünn und labbrig, und wann immer der Beutel gegen seine Lippe stieß, war es, als ob eine tote Maus in seiner Tasse trieb.
Wenig später war es zu dunkel, um noch ohne Licht lesen zu können, und als Darwen nach dem Schalter seiner Nachttischlampe griff, fiel sein Blick auf seinen alten Kricketschläger. Eigentlich wusste er nicht, wieso er den überhaupt von England mitgeschleppt hatte. Hier spielte niemand Kricket, also würde er ihn vermutlich nie wieder brauchen. Eine Erinnerung regte sich in seinem Kopf, klar und deutlich, als ob Flutlichtscheinwerfer sie erhellten: Er spielte in ihrem kleinen Garten hinterm Haus. Sein Dad rannte los, um den Ball zu werfen, seine Mutter stand hinter ihm als Fänger, und er hatte bereits zum Schlag ausgeholt. Ein Glücksgefühl durchströmte ihn – verwandelte sich dann aber sofort in verzweifelte, leere Traurigkeit …
Darwen räusperte sich und schubste den Kricketschläger mit einem Ruck unter das Bett. Kurz wandte er sich zum Fenster und betrachtete die Silhouette der Stadt. Dort, wo die Sonne untergegangen war, war der Himmel noch leicht rosa, aber sonst hatte er eine dunkle, purpurne Färbung angenommen. Die Straßenlaternen brannten schon, und in weichem, bernsteinfarbenem Licht wälzte sich der Verkehr durch die Stadt mit ihren Hochhäusern und erleuchteten Fenstern. Für Darwen war das alles noch ganz neu, aber es gefiel ihm – und vor allem lenkte es ihn von jenen Dingen ab, über die er nicht nachdenken wollte.
Das letzte bisschen Rosa verblasste, und Darwen machte sich zum Zubettgehen bereit. Er zog seinen Schlafanzug an und entdeckte dabei etwas, das sich in einer der beiden Jackentaschen befand – ein kleines, gesticktes Wappen von Manchester United. Er zog es hervor, betrachtete es nachdenklich und fragte sich, wie lange es her sein mochte, dass er den Aufnäher dort hineingesteckt hatte. Bestimmt schon ein paar Wochen, dachte er. Vielleicht sogar Monate. Er war vermutlich schon ein paarmal mitgewaschen worden. Erst wollte er ihn unters Bett zu seinem Kricketschläger werfen, aber dann steckte er ihn vorsichtig zurück und ließ die Hand noch kurz auf der Schlafanzugtasche liegen, als könnte er den Herzschlag des Aufklebers durch den Stoff fühlen.
An den Spiegel erinnerte er sich erst wieder, als er den Wandschrank öffnete, um seine Kleider für den morgigen Tag herauszusuchen. Er brauchte einen kurzen Moment, bevor er merkte, dass sich etwas verändert hatte. Ihm blieb der Mund offen stehen, und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Er blinzelte mehrere Male, sah wieder hin, ging noch etwas näher heran, aber es war nicht zu leugnen:
Wo zuvor der Spiegel gewesen war, befand sich nun ein Fenster!
Jetzt sah er nicht mehr sein eigenes Gesicht, wenn er in den Spiegel blickte. Stattdessen fasste der nachgedunkelte alte Rahmen einen mondbeschienenen Wald ein, durch den ein langer, gerader Pfad zu einem Springbrunnen führte. Kurz hielt Darwen das für einen Trick, für ein Bild, das man aus irgendeinem Grund nur im Dunkeln sehen konnte – wie diese Plastikdinger in den Cornflakes-Packungen, die sich zu bewegen schienen, wenn man sie drehte und kippte.
Oder für einen Spiegel, durch den man nur von einer Seite hindurchsehen konnte, wie man es oft bei den Po lizeiwachen im Fernsehen sah. Aber dann bewegten sich die Bäume. Sie bewegten sich, als ob eine sanfte Brise über sie hinwegzöge, und während sein Kopf noch versuchte, zu begreifen, was er da sah, fühlte er es schon auf seinem Gesicht: einen kühlen Lufthauch, der direkt aus dem Spiegel zog.
Darwen trat einen Schritt zurück.
Gibt’s doch gar nicht, dachte er. Das ist doch jetzt nicht echt! Aber er konnte den
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