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Mr. Vertigo

Titel: Mr. Vertigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Hand auf meiner Kopfhaut, «aber mir wäre wesentlich wohler zumute, wenn Sie mir das schriftlich geben könnten.»
    Sie lachte heiser und lächelte mich an. «Ich geb dir einen Rat für die Zukunft», sagte sie. «Wenn du meinst, ich fahre zu schnell, mach einfach die Augen zu und schrei. Je lauter du schreist, desto mehr Spaß werden wir beide haben.»
    Und das tat ich dann auch oder versuchte es jedenfalls. Auf späteren Ausflügen machte ich es mir zur Regel, jedes Mal die Augen zu schließen, wenn die Tachonadel auf hundertdreißig kletterte; trotzdem entfuhren mir bei hundertzwanzig gelegentlich ein paar Fürze, und einmal sogar schon bei hundertzehn (als ich glaubte, wir würden in einen entgegenkommenden Laster krachen, und sie erst in letzter Sekunde auswich). Diese Entgleisungen hoben nicht gerade meine Selbstachtung, aber das Allerschlimmste passierte mir Anfang August, als mir hinten der Stöpsel rausflog und ich mir buchstäblich in die Hose schiss. Es war ein brutal heißer Tag. Seit über zwei Wochen hatte es nicht geregnet, die Blätter sämtlicher Bäume in der ganzen flachen Landschaft waren mit Staub bedeckt. Mrs. Witherspoon war noch ein bisschen beschickerter als sonst, nehme ich an, und als wir die Stadt hinter uns ließen, geriet sie in eine Stimmung, in der ihr die ganze Welt scheißegal war. Gleich die erste Kurve nahm sie mit achtzig, und dann gab es kein Halten mehr. Überall wirbelte Staub herum, legte sich auf die Windschutzscheibe, fuhr uns in die Kleider und zwischen die Zähne. Aber sie lachte bloß und stemmte den Fuß aufs Gaspedal, als wollte sie den Geschwindigkeitsrekord von Mokey Dugway brechen. Ich kniff die Augen zu, klammerte mich ans Armaturenbrett und brüllte aus Leibeskräften, während der Wagen schlingernd den ausgedörrten, vernarbten Highway entlangdonnerte. Nach zwanzig, dreißig Sekunden zunehmender Panik wusste ich, dass mein letztes Stündlein geschlagen hatte. Ich würde auf dieser blöden Straße sterben, das waren meine letzten Sekunden auf Erden. Und in diesem Augenblick rutschte mir die Scheiße aus dem Darm: eine weiche glitschige Pampe, die mir warm und ekelhaft feucht in die Unterhose fuhr und dann am Bein runterrann. Als ich merkte, was da passiert war, fiel mir nichts Besseres ein, als in Tränen auszubrechen.
    Unterdessen ging die Fahrt weiter, und als wir gut zehn Minuten später anhielten, war ich nass bis auf die Knochen – von Scheiße, Schweiß und Tränen. Ich war bloß noch ein Häufchen Elend, gebadet in Körperflüssigkeiten.
    «Na also, Cowboy», erklärte Mrs. Witherspoon und steckte sich eine Zigarette an, um ihren Triumph zu genießen. «Wir haben’s geschafft. Wir haben den Rekord des Jahrhunderts aufgestellt. Ich wette, ich bin die erste Frau in diesem ganzen spießigen Bundesstaat, die das je geschafft hat. Was sagst du dazu? Ganz schön gut für so ’ne alte Schachtel wie mich, eh?»
    «Sie sind keine alte Schachtel, Ma’am», sagte ich.
    «Ach, das ist aber nett. Das gefällt mir. Du weißt mit Damen umzugehen, Junge. Noch ein paar Jahre, dann legst du sie mit solchen Redensarten reihenweise aufs Kreuz.»
    Ich wollte weiter so mit ihr plaudern, ganz ruhig und locker, als wäre nichts geschehen, aber jetzt, wo der Wagen stand, machte sich der Gestank aus meiner Hose immer deutlicher bemerkbar, und ich wusste, es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bis mein Geheimnis aufflog. Vor Demütigung überlief es mich siedend heiß, und ehe ich noch etwas sagen konnte, hatte ich die Hände vorm Gesicht und fing lauthals zu schluchzen an.
    «O Gott, Walt», hörte ich sie sagen. «Allmächtiger Gott. Diesmal hast du’s wirklich getan, stimmt’s?»
    «Entschuldigen Sie», sagte ich; ich wagte nicht, sie anzusehen. «Ich konnte nichts dafür.»
    «Kommt wahrscheinlich von den ganzen Süßigkeiten, die ich dir gebe. Das ist dein Bauch nicht gewöhnt.»
    «Möglich. Oder ich bin einfach bloß ein Feigling.»
    «Sei nicht albern, Junge. Nur ein kleiner Unfall. So was kann jedem passieren.»
    «Sicher. Solange man Windeln trägt, bestimmt. Ich könnte vor Scham im Boden versinken.»
    «Vergiss es. Jetzt ist keine Zeit für Selbstmitleid. Wir müssen deinen kleinen Pöter saubermachen, bevor das Zeug ins Polster sickert. Hörst du mir zu, Walt? Dein Stuhlgang ist mir egal, verdammt, aber den Wagen soll er mir nicht ruinieren. Hinter den Bäumen da drüben ist ein Teich, da bring ich dich jetzt hin. Und wenn wir die Bescherung abgewischt

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