Mr. Vertigo
dazu herab, diesen Übungen zuzusehen, und wenn sie doch mal ins Zimmer kam, beobachtete sie das Schauspiel meiner Levitationen ohne die geringste Regung und musterte mich bloß mit der kalten Sachlichkeit eines Metzgers, der ein Stück Rindfleisch begutachtet. Ich konnte so ungewöhnliche Leistungen vollbringen, wie ich wollte, sie nahm es als Teil der natürlichen Ordnung der Dinge, fand es nicht seltsamer oder rätselhafter als das Zunehmen des Mondes oder das Rauschen des Windes. Vielleicht war sie zu betrunken, um noch den Unterschied zwischen einem Wunder und einem alltäglichen Ereignis wahrnehmen zu können, vielleicht berührte sie auch das Geheimnisvolle daran einfach nicht; wenn es um Unterhaltung ging, wäre sie eher durch einen Wolkenbruch gefahren, um sich einen drittklassigen Film anzusehen, als dass sie mir dabei zugesehen hätte, wie ich in ihrem bescheuerten Wohnzimmer über Tische und Stühle flog. Meine Darbietung war für sie bloß Mittel zum Zweck. Solange der Zweck gesichert war, waren ihr die Mittel vollkommen gleichgültig.
Aber sie war gut zu mir, das will ich ihr nicht absprechen. Welche Motive sie auch gehabt haben mag, was Zerstreuungen anbetraf, war sie nicht knausrig, sondern vielmehr stets bereit, Geld für mich rauszurücken. Zwei Tage nach meiner Ankunft fuhr sie mit mir zu einem Einkaufsbummel in die Innenstadt von Wichita und kleidete mich von oben bis unten neu ein. Danach ging es ab in die Eisdiele, ins Süßwarengeschäft, in den Spielsalon. Sie war mir immer einen Schritt voraus, und bevor ich selbst überhaupt wusste, dass ich etwas haben wollte, bot sie es mir schon an, schob es mir zwinkernd in die Hand und tätschelte mir den Kopf. Nach den schlimmen Zeiten, die ich durchgemacht hatte, war mir ein solches Lotterleben grade recht. Ich schlief in einem weichen Bett mit bestickten Laken und Daunenkissen, ich aß die gigantischen Mahlzeiten, die uns das farbige Hausmädchen Nelly Boggs kochte, ich konnte jeden Morgen eine frische Unterhose anziehen. Um der Hitze zu entfliehen, fuhren wir nachmittags meist mit der smaragdgrünen Limousine aufs Land, sausten mit offenen Fenstern die leeren Straßen runter und ließen uns den Fahrtwind von allen Seiten um die Nase pusten. Mrs. Witherspoon fuhr gerne schnell, und ich habe sie wohl nie glücklicher gesehen, als wenn sie mit dem Fuß das Gaspedal durchtrat: Da lachte sie und trank aus dem silbernen Flachmann, und ihre kurzen roten Haare flatterten wie die Beinchen einer auf den Rücken gefallenen Raupe. Die Frau kannte keine Angst, sie ahnte nicht, dass ein mit hundertzwanzig, hundertvierzig Sachen dahinjagendes Auto tatsächlich jemanden töten kann. Ich verbarg meine Angst bei dieser Raserei, so gut ich konnte, aber ab Tempo hundertzehn, hundertzwanzig verlor ich die Beherrschung. Die Panik, die in mir aufstieg, schlug mir auf die Verdauung, und bald ließ ich einen Furz nach dem anderen, ganze Schwärme von Stinkbomben, die von lautem Darmknattern begleitet wurden. Ich hätte vor Scham im Boden versinken mögen, denn Mrs. Witherspoon zählte nicht zu den Leuten, die solche Ungehörigkeiten kommentarlos durchgehen ließen. Beim ersten Mal brach sie in ein so wildes Gelächter aus, dass ich fürchtete, der Kopf würde ihr von den Schultern fliegen. Dann stieg sie ohne Vorwarnung in die Eisen und brachte den Wagen unter haarsträubendem Schleudern zum Stehen.
«Noch so ein paar von diesen Krachern», sagte sie, «und wir werden Gasmasken aufsetzen müssen.»
«Ich riech gar nichts», sagte ich – die einzige Antwort, die mir möglich schien.
Mrs. Witherspoon schnüffelte demonstrativ, rümpfte die Nase und verzog das Gesicht. «Dann riech noch mal, Freundchen. Aus deiner Kimme ist ’ne komplette Blaskapelle ins Freie marschiert.»
«Das bisschen Gas», versuchte ich es mit einer neuen Taktik. «Zum Autofahren muss man ja wohl auch aufs Gaspedal treten.»
«Aber die chemische Zusammensetzung ist anders, Schätzchen. Das Zeug, von dem wir jetzt sprechen, könnte uns ohne weiteres in die Luft jagen.»
«Ja, sicher, aber immer noch ein besserer Tod, als gegen ’nen Baum zu rasen.»
«Keine Bange, Naseweis», sagte sie, plötzlich wieder milde gestimmt. Sie legte mir eine Hand auf den Kopf und fuhr mir sanft mit den Fingerspitzen durchs Haar. «Ich bin eine verdammt gute Fahrerin. Solange Marion am Steuer sitzt, bist du immer sicher, egal wie schnell wir fahren.»
«Hört sich gut an», sagte ich und genoss den Druck ihrer
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