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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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wahrscheinlich Bewunderung. Er sah die mit dickem schwarzem Filzstift beschrifteten Kleiderkartons für den nächsten Wohltätigkeitsbasar der Kirchengemeinde bereits vor sich.
     
    Gegen Mittag wurde er ungewöhnlich nervös. Als das Telefon klingelte, sprang er auf. Es war Alec, der wissen wollte, ob er trotz des Regens Lust auf eine Runde Golf hätte.
    »Tut mir leid, dass ich dich nicht schon früher angerufen habe«, sagte Alec. »Alma hat mir alles erzählt. Sie meinte, du hältst dich ziemlich gut.«
    »Ja, danke«, erwiderte der Major.
    »Ich hätte dich früher anrufen sollen.« Der Major lächelte darüber, wie Alec sich in seiner Verlegenheit verfing. Keiner war gekommen; weder Alec noch Hugh Whetstone, der gleich um die Ecke wohnte, hatte sich gezeigt, und keiner aus der Golfclub-Gruppe. Aber das grämte ihn nicht. Er hatte es früher genauso gehandhabt, war der unangenehmen Situation eines Trauerfalls in einer anderen Familie ausgewichen und hatte Nancy machen lassen. Frauen hielt man ganz selbstverständlich besser dafür geeignet, mit solchen Situationen umzugehen. Als unten in der Straße die alte Mrs. Finch gestorben war, hatte Nancy nach der Beerdigung zwei, drei Wochen lang Mr. Finch täglich eine Suppe oder übergebliebene Reste ihres Essens gebracht. Der Major hatte lediglich ein oder zwei Mal den Hut gezogen, wenn er dem alten Mann auf einem Spaziergang begegnet war. Dann hatte ihn der alte Finch, abgezehrt wie eine streunende Katze und vollkommen desorientiert, mit leerem Blick angestarrt und war auf der Fahrbahnmitte weitergetorkelt. Es war eine große Erleichterung gewesen, als seine Tochter ihn in ein Altersheim gab.
    »Ich muss in die Stadt, ein Anwaltstermin«, sagte der Major. »Aber vielleicht nächste Woche.« Er versuchte, möglichst einmal pro Woche Golf zu spielen – keine leichte Aufgabe bei dem unberechenbaren Herbstwetter. Seit Berties Tod war er nun schon fast zwei Wochen lang nicht einmal in die Nähe des Golfclubs gekommen.
    »Der Boden ist wahrscheinlich sowieso völlig durchweicht«, meinte Alec. »Ich organisiere uns eine frühe Abschlagszeit für nächste Woche, dann wollen wir doch mal sehen, ob wir nicht bis zum Mittagessen eine ganze Runde schaffen.«
     
    Um zwei Uhr nachmittags hatte sich der Aufruhr der Wolken gelegt. Sie senkten sich einfach zu Boden und verwandelten den Regen in grauen Nebel. Es fühlte sich an wie in einem kalten Dampfbad, und jeder Geruch blieb an Ort und Stelle haften. Noch lange nachdem ein umherstreifender Collie den Eckpfosten des hölzernen Bushäuschens markiert hatte, rümpfte der Major wegen des durchdringenden Uringestanks die Nase. Der grob gezimmerte, nach drei Seiten geschlossene Unterstand mit dem billigen Asphaltdach bot keinen Schutz vor dem Nebel und gab seine eigenartige Mischung aus Teeröl und alter Kotze in die feuchte Luft ab. Der Major verfluchte den menschlichen Instinkt des Zufluchtsuchens, der ihn zu bleiben zwang, und las die von der Dorfjugend zurückgelassenen, tief eingemeißelten historischen Aufzeichnungen. »Jaz und Dave«, »Mick liebt Jill«, »Mick ist ein Wichser«, »Jill und Dave«.
    Endlich erschien das kleine blaue Auto auf der Hügelkuppe und blieb vor dem Major stehen. Als Erstes sah er ihr strahlendes Lächeln, dann den wie Pfauenfedern in Blau- und Grüntönen schillernden Schal, der locker auf ihrem glatten schwarzen Haar lag. Sie beugte sich hinüber und öffnete die Beifahrertür. Er duckte sich, um einzusteigen.
    »Entschuldigung, die müssen erst noch weg«, sagte sie und nahm zwei, drei in Plastik eingebundene Bibliotheksbücher vom Beifahrersitz, um für den Major Platz zu schaffen.
    »Danke.« Er versuchte, beim Hinsetzen nicht allzu sehr zu ächzen. »Ich kann sie gern halten.« Sie gab ihm die Bücher, und er bemerkte ihre langen, geschmeidigen Finger und kurzen Nägel.
    »Kann’s losgehen?«, fragte sie.
    »Ja, vielen Dank. Es ist sehr freundlich von Ihnen.« Er wollte Mrs. Ali ansehen, war sich aber der Beengtheit des Wagens zu sehr bewusst. Mrs. Ali legte den ersten Gang ein und fuhr rasant los. Der Major hielt sich an der Tür fest und richtete den Blick auf die Bücher.
    Es waren dicke Bücher mit alten, ausgeblichenen Umschlägen unter dem vergilbten Plastik. Er drehte den Packen zur Seite: ein Colette-Roman, Erzählungen von Maupassant, eine Lyrikanthologie. Zum Erstaunen des Majors handelte es sich um eine französischsprachige Maupassant-Ausgabe. Er überflog ein paar Seiten –

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