Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
sie enthielten keine Übersetzung ins Englische.
»Diese Bücher haben Sie doch bestimmt nicht aus dem Bücherbus«, sagte er. Mrs. Ali lachte, und der Major fand, dass es klang, als würde sie singen.
Jeden Dienstag bezog ein großer grün-weißer Bücherbus Position in einer Parkbucht gleich bei der kleinen Sozialsiedlung am Dorfrand. Der Major bediente sich im Allgemeinen lieber aus seiner eigenen Bibliothek, in der ihm Keats und Wordsworth tröstliche Gefährten waren und Samuel Johnson, wenn auch oft arg wichtigtuerisch, stets etwas Provokantes zu sagen hatte. Weil er das Prinzip des Bücherbusses trotzdem für wertvoll hielt, ging er regelmäßig hin, um seine Unterstützung zu demonstrieren, obwohl er das karge Angebot an älteren Romanen schnell ausgeschöpft hatte und die reißerischen Bestsellercover und das große Regal mit den Liebesschmonzetten geradezu abstoßend fand. Bei seinem letzten Besuch hatte er in einem dicken Wälzer über die heimische Vogelwelt geblättert, während ein kleiner Junge mit grünlich verrotzter Nase auf dem breiten Schoß seiner jungen Mutter saß und einzelne Wörter aus einem Pappbuch über Züge von sich gab. Gerade in dem Moment, als der Major und die Bibliothekarin sich zulächelten, weil es schön war, einmal ein Kind zu sehen, das etwas anderes tat, als vor dem Fernseher zu sitzen, nahm der Junge an irgendetwas in dem Buch Anstoß und riss mit einem Ruck den Rückendeckel ab. Die wütende Mutter war unter dem schockierten Blick der Bibliothekarin rot angelaufen und hatte dem Jungen eine deftige Ohrfeige verpasst. Eingezwängt hinter dem Kind, das sich flach ausgestreckt unter einem Tisch verbarg, und dem ausladenden Hinterteil seiner schimpfenden Mutter, die es hervorzuzerren versuchte, um es bequemer schlagen zu können, war dem Major nichts anderes übriggeblieben, als sich an einem Metallregal festzuhalten und zu versuchen, nicht den Verstand zu verlieren, so gellend hallten die Schreie des Jungen zwischen den Stahlwänden des Busses.
»Ich gehe natürlich immer in die Bibliothek in der Stadt«, sagte Mrs. Ali, während sie auf einem winzig kleinen freien Straßenstück zwischen zwei unübersichtlichen Kurven seelenruhig einen turmhohen Heuwagen überholte. »Aber auch dort muss ich das, was ich will, fast immer bestellen.«
»Ich habe ein- oder zweimal ein Buch bestellt«, erzählte der Major. »Ich wollte eine ganz bestimmte, wenig verbreitete Ausgabe der Essays, die Samuel Johnson für den
Rambler
verfasste, und musste zu meiner Enttäuschung feststellen, dass die Bibliothekarin mit meiner Bitte nicht das Geringste anfangen konnte. Eigentlich müsste es doch für jemanden, der tagein, tagaus die Vorsatzblätter minderwertiger Romane abstempelt, reizvoll sein, einen wunderbaren alten Klassiker aufzustöbern …«
»Sie sollten mal fremdsprachige Literatur bestellen«, sagte Mrs. Ali. »Es gibt da eine Bibliothekarin, die mustert mich jedes Mal, als würde ich Hochverrat begehen.«
»Sprechen Sie noch andere Sprachen außer Französisch?«
»Mein Französisch ist miserabel«, sagte Mrs. Ali. »Deutsch spreche ich viel besser. Und Urdu natürlich.«
»Ist das die Muttersprache in Ihrer Familie?«, fragte der Major.
»Nein, Englisch, würde ich sagen. Mein Vater bestand auf europäische Sprachen. Er hasste es, wenn meine Mutter und meine Großmutter auf Urdu miteinander schwatzten. Als ich ein kleines Mädchen war, glaubte mein Vater felsenfest, die Vereinten Nationen würden sich zu einer Weltregierung entwickeln.« Sie schüttelte den Kopf, nahm die linke Hand vom Lenkrad und sagte mit erhobenem Zeigefinger in pathetischem Singsang: »Wir werden die Sprache der Diplomatie sprechen und unseren rechtmäßigen Platz als Weltbürger einnehmen!« Sie seufzte. »Bis zu seinem Tod blieb er dieser Ansicht treu, und um sein Andenken in Ehren zu halten, lernten meine Schwester und ich gemeinsam sechs Sprachen.«
»Das ist wirklich beeindruckend«, sagte der Major.
Mrs. Ali lächelte traurig. »Und ziemlich nutzlos für das Betreiben eines kleinen Ladens.«
»Die Lektüre der Klassiker ist niemals nutzlos«, wandte der Major ein, die Bücher in der Hand wiegend. »Ich jedenfalls ziehe den Hut vor Ihrer Beharrlichkeit. Heutzutage wissen viel zu wenig Menschen die Freuden der Hochkultur zu schätzen und zu ihrem eigenen Wohl zu nutzen.«
»Ja, manchmal ist es schon eine sehr einsame Angelegenheit«, sagte Mrs. Ali.
»Dann müssen wir – die wenigen
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