Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
Baiser. Normalerweise stellte er sich im Umgang mit Regen nicht so tölpelhaft an. Zum Golfspielen nahm er immer ein Paar seiner alten Army-Gamaschen mit und schnallte sie sich beim ersten Anzeichen eines Schauers um die Socken. Im Kofferraum des Wagens lag stets ein eingerollter gelber Regenmantel, und im Ständer in der Diele steckte eine ganze Sammlung von stabilen Schirmen. Bei so manchem Cricketspiel an einem glühend heißen Tag hatte man ihn geneckt, weil er immer einen kleinen Klapphocker mit sich trug, in dessen Seitentasche ein Regenumhang aus Plastik verstaut war. Nein, er hatte keinen einzigen Gedanken an das Wetter verschwendet und nicht einmal einen Blick in die Zeitung geworfen oder die Sechs-Uhr-Nachrichten angesehen, weil er so sehr gewollt hatte, dass dieser Tag sonnig war. Und wie König Knut der Große, der dem Meer befahl zurückzuweichen, hatte er versucht, die Sonne mit reiner Willenskraft zum Scheinen zu bringen.
Die Sonne hätte sein Vorwand dafür sein sollen, aus einer Mitfahrgelegenheit mehr werden zu lassen. Der Vorschlag, einen Spaziergang an der Küste zu unternehmen, wäre an einem schönen Tag völlig angemessen gewesen. Jetzt aber kam es nicht in Frage, und er befürchtete, dass eine Einladung zum Fünf-Uhr-Tee in einem Hotel zu dreist wirken könnte. Er setzte sich abrupt auf, und das Zimmer verschwamm vor seinen Augen. Was, wenn Mrs. Ali den Regen als Begründung dafür nahm, die ganze Sache telefonisch abzusagen? Dann würde er einen neuen Termin mit Mortimer vereinbaren oder selbst fahren müssen.
Für den Fall, dass sie nicht absagte, musste er an der geplanten Garderobe bestimmte Änderungen vornehmen. Er stand auf, schlüpfte in seine marokkanischen Lederpantoffeln und tapste zu dem großen Kiefernholzschrank hinüber. Er hatte geplant, eine Tweedjacke und eine Wollhose anzuziehen und sich zur Feier des Tages einen Spritzer Aftershave zu gönnen. Allerdings roch der Tweed ein wenig, wenn er feucht wurde, und er wollte Mrs. Alis kleines Auto nicht mit dem Gestank von nasser, in
Bay Rum
-Aftershave getauchter Schafwolle verpesten. Grübelnd stand er eine Weile vor dem Schrank.
Im Kommodenspiegel an der Wand gegenüber fing sich das dunkle, vom trüben Morgen kaum beleuchtete Abbild seines Gesichts. Er betrachtete es genauer, rubbelte die kurzen Haarborsten und fragte sich, wie es sein konnte, dass er so verdammt alt aussah. Er versuchte zu lächeln und wurde tatsächlich den säuerlichen Gesichtsausdruck und die leichten Hängebäckchen los, dafür aber bildeten sich jetzt Falten rings um seine blauen Augen. Dennoch war er halbwegs überzeugt, durch das Lächeln eine Verbesserung bewirkt zu haben, und probierte verschiedene Versionen, bis ihm die Absurdität des Ganzen bewusst wurde. Nancy hätte das eitle Gehabe niemals toleriert und Mrs. Ali ganz bestimmt auch nicht.
Er ging noch einmal den Inhalt des Kleiderschranks durch und befand, dass der Tag die perfekte Gelegenheit bot, den teuren Acrylpullover anzuziehen, den Roger ihm vergangenes Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte. Den schmalen Schnitt und das schwarz-graue Rautenmuster hatte er selbst zwar als zu jugendlich empfunden, aber Roger war ganz begeistert gewesen.
»Den habe ich direkt von einem italienischen Designer, den wir finanziert haben«, hatte er gesagt. »Für diese Teile gibt es in ganz London Wartelisten.« Der Major, der Roger einen Hut aus Wachsbaumwolle von Liberty sowie eine ziemlich elegante ledergebundene Ausgabe von Sir Edmund Hillarys Bericht über die Erstbesteigung des Mount Everest geschenkt hatte, bedankte sich aufs liebenswürdigste für die wunderbare Geschenkidee. Seine Meinung über Männer zu äußern, die sich eines Pullovers wegen auf Wartelisten setzen ließen, hielt er für unhöflich; außerdem war es für Roger offenbar ein großes Opfer gewesen, den Pulli wegzugeben. Nach Neujahr hatte der Major die grün-rosa gestreifte Schachtel auf das oberste Regalbrett im Schrank gestellt. Aber heute hatte er das Gefühl, ein leicht jugendlicher Stil könnte genau das Richtige sein, um einem potenziell feuchten gesellschaftlichen Umfeld entgegenzuwirken.
Während er die dicht an dicht hängenden Kleiderbügel nach einem sauberen weißen Hemd absuchte, dachte er sich einmal mehr, dass es an der Zeit wäre, den Schrank durchzugehen und auszumisten. Er stellte sich vor, wie Marjorie Berties Sachen aus den Einbauschränken räumte. Marjorie war eine praktische Frau und verdiente dafür
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