Mrs Murphy 01: Schade, dass du nicht tot bist
seinen eigenen, und trotzdem hatte der Mann Sinn und Verstand. Er neigte zum Suchtverhalten. Liegt in der Familie.«
»Wie steht es mit erblichem Wahnsinn? In wessen Familie liegt der?«
»In etwa neunzig Prozent der vornehmsten Familien von Virginia, würde ich sagen.« Ein garstiges Lächeln erschien auf dem Gesicht des Arztes. Das Sprühen wurde schwächer.
»Geben Sie her. Ich möchte auch ein paar erledigen.« Rick attackierte die Käfer, ihre schillernden Flügel wurden nass von dem Gift. Ein Surren, dann ein Spritzen, und die Käfer fielen auf die Erde; die gepanzerten Hüllen machten ein leise klirrendes Geräusch. »Und Harry? War sie mal krank? Labil?«
»Hat sich beim Hockeyspielen im College mal den Rücken verrenkt. Immer wenn die Schmerzen mal wieder aufflammten, hab ich ihr Motrin gegeben. Ich glaube, Hayden gibt es ihr heute noch. Harry ist ein kluges Mädchen, das nie den richtigen Beruf gefunden hat. Trotzdem scheint sie glücklich zu sein. Sie halten doch nicht sie für die Mörderin, oder?«
»Nein.« Rick rieb seine Nase. Das Sprühzeug roch widerlich. »Was meinen Sie, Larry?«
»Ich halte den- oder diejenige nicht für wahnsinnig.«
»Fair Haristeen hat für keine der Mordnächte ein Alibi … und er hat ein Motiv, was Kelly betrifft. Da er jetzt allein lebt, sagt er, gibt es niemanden, der für ihn bürgt.«
Larry rieb sich die Stirn. »Das hatte ich befürchtet.«
»Wie sieht’s mit Zyanid aus? Wie schwer ist es herzustellen?«, wollte Rick wissen.
»Ziemlich schwer, aber jemand mit medizinischen Kenntnissen dürfte da keinerlei Schwierigkeiten haben.«
»Auch ein Tierarzt nicht?«
»Auch ein Tierarzt nicht. Aber jeder intelligente Mensch, der auf dem College einen Chemiekurs belegt hat, kann es hinkriegen. Zyanid ist eine einfache Zusammensetzung: Zyan mit einem metallischen oder einem organischen Radikal. Pottasche-Zyanid pustet einem das Licht aus, bevor man Zeit hat zu blinzeln. Anstreicher, Möbelbeizer, sogar Automechaniker haben Zugang zu Chemikalien, die, richtig destilliert, tödlich wirken können. Man kann es im Spülstein herstellen.« Larry betrachtete befriedigt den Regen sterbender Käfer. »Sie wissen, was der eigentliche Kern der Sache ist, nicht wahr?«
»Nein.« Ricks Stimme wurde hell vor Spannung.
»Es ist etwas direkt vor unserer Nase. Irgendwas, woran wir gewöhnt sind, was wir täglich sehen, woran wir täglich vorübergehen, und irgendjemand, an den wir gewöhnt sind, den wir täglich sehen und an dem wir täglich vorübergehen. Was auch immer es ist, es ist so sehr ein Teil unseres Lebens, dass wir es nicht mehr bemerken. Wir müssen unsere Umwelt, unseren Alltag mit neuen Augen betrachten. Nicht nur die Personen, Rick, sondern die ganze Kulisse. Das hat Bob Berryman getan. Deswegen ist er tot.«
42
Rick verhaftete Pharamond Haristeen III. Er hatte kein Alibi. Er war kräftig gebaut, hochintelligent und verfügte über medizinische Sachkenntnis. Er hatte einen Groll gegen Kelly gehegt und umgekehrt. Was er gegen Maude Bly Modena gehabt haben könnte, wusste Rick nicht so recht, aber seine Verhaftung würde die Presse und die Öffentlichkeit beschwichtigen. Sie würde möglicherweise auch Fairs Leben ruinieren, wenn er nicht der Mörder war. Rick zog diesen Umstand in Betracht und verhaftete ihn trotzdem. Er musste auf Nummer sicher gehen. Er hatte auch Harrys Plan zugestimmt. Was hatte er zu verlieren, außer wenn Harry diejenige war? Er gab ihr einen Revolver, und niemand außer Cynthia Cooper wusste, dass Harry jetzt bewaffnet war.
Mrs Murphy lag ausgestreckt auf dem Hackklotz in Harrys Küche. Ihr Schwanz wippte rhythmisch auf und ab. Tucker saß bei Harry am Küchentisch. Harry, Susan und Officer Cooper beugten sich über die Postkarten und schrieben wieder und wieder: »Schade, dass Du nicht hier bist.«
Das Telefon läutete. Es war Danny, der seine Mutter sprechen wollte. Susan nahm den Hörer. »Was ist denn jetzt schon wieder?« Sie hörte zu, während er stöhnend erzählte, dass Dad den Fernseher abgeschaltet hatte, damit er sein Zimmer aufräumte. Während sie die Klagelitanei über sich ergehen ließ, wurde Susan bewusst, dass ein Kind im Teenageralter eine Frau rapide altern ließ. Ein Ehemann in mittleren Jahren beschleunigte diesen Prozess noch mehr. »Tu, was dein Vater sagt.« Darauf folgte ein neuer Ausbruch. »Danny, wenn ich nach Hause kommen und zwischen dir und deinem Vater vermitteln muss, kriegst du Hausarrest bis
Weitere Kostenlose Bücher