Mrs Murphy 02: Ruhe in Fetzen
alles sauber, bis auf ein blondes Haarbüschel in einer Ecke des Fußbodens.
Rick tat die Haare in einen kleinen Umschlag und schob ihn in seine Jackentasche.
Als er die Bürotür schloss, wusste er mehr als beim Hereinkommen, aber er wusste noch nicht genug.
Er musste methodisch und umsichtig vorgehen, bevor ein teurer Staranwalt ihm den Fall versiebte. Diese Burschen brachten es fertig, Shermans Vormarsch als »unbefugtes Betreten« herunterzuspielen.
62
Cynthia Cooper entdeckte, dass Tommy Norton sich nie im New Yorker City College immatrikuliert hatte. Gegen zwei Uhr nachmittags tat ihr das Ohr weh vom vielen Telefonieren. Endlich war sie fündig geworden. Im Sommer 1976 war ein Thomas Norton in die staatliche Nervenklinik Central Islip eingewiesen worden. Die Diagnose lautete hebephrene Schizophrenie. Leider war die Akte unvollständig, und die Frau am anderen Ende der Leitung konnte den Namen seiner nächsten Angehörigen nicht finden. Sie wusste nicht, wer ihn eingeliefert hatte.
Dann wurde Cynthia mit einem Arzt verbunden, der sich an den Patienten erinnerte. Er sei schizophren gewesen, aber mithilfe von Medikamenten habe er in den letzten fünf Jahren Fortschritte gemacht und sei nun eingeschränkt selbstständig. Vor Kurzem sei er in die offene Station einer Rehaklinik eingewiesen worden und habe eine Arbeit in einem Büro gefunden. Er sei sehr aufgeweckt, aber oft verwirrt. Der Arzt gab Cynthia eine vollständige Beschreibung des Mannes und faxte ihr außerdem ein Bild von ihm.
Als das Foto aus dem Bürofaxgerät glitt, wusste sie, dass sie Tommy Norton gefunden hatten.
Sie rief in der Rehaklinik an und erfuhr, dass Tommy Norton seit Oktober vermisst wurde. Das Personal hatte es der Polizei gemeldet, aber in einer Stadt mit neun Millionen Einwohnern war Tommy Norton einfach unauffindbar.
Sie erreichte Rick über sein Funktelefon. Er zeigte großes Interesse für alles, was sie in Erfahrung gebracht hatte. Er verabredete sich mit ihr vor Fitz-Gilbert Hamiltons Haus. Sie solle einen Durchsuchungsbefehl mitbringen, sagte er.
63
Die blass orangefarbene Sonne ging unter, und die Temperatur sank auf minus fünf Grad. Als Venus über dem Horizont aufstieg, wirkte sie in der schneidenden Nachtluft größer als sonst. Intensiv orangerote Konturen umrahmten die Gipfel der Blue Ridge Mountains und verwandelten den Tiefschnee in goldene Wellen. Der Schnee lag so hoch, dass sogar der Ginster zugedeckt war. Eine dünne Eiskruste überzog die Schneedecke.
Es war unmöglich, Orlando eine Rundfahrt durch ganz Crozet zu bieten, weil viele Nebenstraßen nicht geräumt waren. Blair bat seinen Freund um Nachsicht, als er nachmittags um zehn nach fünf in Harrys Zufahrt einbog. Er hatte ihr einen runden schwarzen Enteiser für den Wassertrog besorgt und fand, dass heute der richtige Abend war, um das Gerät auszuprobieren. Paul Summers im Southern-States-Laden hatte gesagt, wenn es nicht funktioniere, könne er es zurückbringen und bekäme sein Geld erstattet.
»Ich kann mich nicht erinnern, dass du ein Landleben-Typ warst.« Orlando hielt sich an der Handschlaufe fest, als der Wagen langsam über die Zufahrt ruckelte. »Ehrlich gesagt, ich kann mich nicht erinnern, dass du jemals vor elf aufgestanden wärst.«
»Die Zeiten ändern sich, und die Menschen ändern sich mit ihnen.« Blair lächelte.
Orlando lachte. »Hat nicht zufällig was mit der Posthalterin zu tun, oder?«
»Hmm«, lautete Blairs Kommentar.
Orlando wurde einen Moment ernst. »Es geht mich ja nichts an, aber sie scheint wirklich ein guter Mensch zu sein, und sie sieht nett aus. So frisch. Und nach allem, was du durchgemacht hast, verdienst du alles Glück, das du finden kannst.«
»Ich habe Robin geliebt, aber ich konnte mich ja auch immer vor ihr zurückziehen. Weißt du, wenn wir geheiratet hätten, ich glaube, es hätte nicht gehalten. Wir haben ziemlich oberflächlich gelebt.«
Orlando seufzte. »Ich schätze, das tu ich auch. Aber guck dir meine Branche an. Wenn du die Kunden mit dem großen Geld willst, musst du ihnen um den Bart gehen. Ich beneide dich.«
»Warum?«
»Weil du den Mut zum Aussteigen hattest.«
»Von Zeit zu Zeit mache ich ja noch Aufnahmen, zumindest bis ich zu verknittert bin oder mich niemand mehr haben will. Du hast es schlauer angestellt als ich. Du hast dir einen Beruf ausgesucht, wo das Alter keine Rolle spielt.«
Orlando lächelte, als das Schindelhaus und der Stall in Sicht kamen. »Klare
Weitere Kostenlose Bücher