Mrs Murphy 02: Ruhe in Fetzen
fünfzehn oder sechzehn gewesen sein. Ich habe nebenan bei Young und Fulton gearbeitet. Danach wusste ich ganz sicher, dass ich kein Börsenmakler werden wollte.« Orlando holte Luft und fuhr fort: »Ein-, zweimal die Woche haben wir zusammen Mittag gegessen. An den anderen Tagen mussten wir durcharbeiten.«
»Wir?«, fragte Cynthia.
»Tommy, Fitz-Gilbert Hamilton und ich.«
»Erzählen Sie weiter.« Ricks Stimme hatte etwas Hypnotisches.
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Er war ein armer Schlucker aus Brooklyn, aber sehr helle, und er wollte so sein wie Fitz und ich. Er hat uns imitiert. Wirklich schade, dass er keine Privatschule besuchen konnte; es hätte ihn so glücklich gemacht. Damals wurden noch nicht so viele Stipendien vergeben.«
»War er mal zu Besuch in Andover?«
»Hm, Fitz’ Eltern sind in jenem Sommer bei dem schrecklichen Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, und im Jahr drauf ist Fitz in der Schule richtig durchgedreht. Aber Tommy und Fitz waren ja gute Freunde, und im Herbst ist Tommy mindestens einmal dort gewesen. Er hat da auch gut hingepasst. Da ich ein Jahr älter war als Tommy, habe ich ihn aus den Augen verloren, als ich nach dem College-Abschluss nach Yale ging. Fitz ging nach Princeton, als er sich wieder gefangen hatte, und was aus Tommy geworden ist, weiß ich nicht. Ich erinnere mich aber, dass er den Sommer drauf wieder bei Kincaid, Foster und Kincaid gearbeitet hat, und zwar zusammen mit Fitz.«
»Fällt Ihnen sonst noch jemand ein, der Tommy Norton kennen könnte?«, fragte Rick.
»Der Personalchef damals war ein schleimiges Ekel namens Leonard, äh, Leonard Imbry. Komischer Name. Wenn er noch dort ist, könnte er sich vielleicht an Tommy erinnern.«
»Wie kommen Sie darauf, dass das Foto Norton darstellt?« Cynthia fand, dass Orlando mit seinen dunklen Haaren und Augen ungemein gut aussah, und sie wünschte, sie hätte was anderes an als ihre Polizeiuniform.
»Ich würde nicht mein Leben darauf verwetten, aber das rekonstruierte Gesicht hatte Tommys vorstehendes Kinn. Die Nase war vielleicht ein bisschen kleiner, und der Haarschnitt stimmte nicht.« Er zuckte die Achseln. »Es sah aus wie eine ältere Ausgabe des Jungen, den ich kannte. Was ist mit ihm passiert? Bevor ich es von den Damen im Postamt erfahren konnte, haben Sie mich weggelotst.«
Cynthia antwortete: »Der Mann auf dem Foto wurde ermordet, sein Gesicht wurde schwer entstellt und seine Leiche zerstückelt. Die Fingerabdrücke waren ihm buchstäblich von den Fingerkuppen abgeschnitten und sämtliche Zähne ausgeschlagen worden. Über mehrere Tage hinweg haben die Leute hier Leichenteile gefunden. Der Kopf ist auf unserem Erntefest in einem Kürbis aufgetaucht. Es war einfach schrecklich, und Kinder wie Erwachsene werden deswegen noch lange Zeit Albträume haben.«
Orlando war erschüttert. »Wer hätte Tommy Norton umbringen wollen?«
»Das würden wir auch gerne wissen.« Rick machte sich wieder Notizen.
»Wann haben Sie Fitz-Gilbert Hamilton zuletzt gesehen?« Cynthia wünschte, dass ihr genug Fragen einfallen würden, um ihn stundenlang dazubehalten.
»Bei meinem Examen in Andover. Seine Stimme war tiefer geworden, aber er war in der Entwicklung immer noch ein bisschen zurück. Ich weiß nicht, ob ich ihn heute wiedererkennen würde. Es würde mich aber freuen, wenn es so wäre.«
»Sie sagten, er war in Princeton – nachdem er sich gefangen hatte.«
»Nach dem Tod seiner Eltern war Fitz eine Zeit lang total daneben. Er war völlig in sich gekehrt. Keiner von uns Jungs war besonders geschickt im Umgang mit so einer Krise. Vielleicht wären wir heute genauso ungeschickt. Ich weiß nicht, er hat sich immer in sein Zimmer verkrochen und Mozarts Requiem gehört. Wieder und wieder.«
Rick blickte von seinen Notizen auf. »Aber er ist auf dem College geblieben?«
»Wo hätten sie ihn sonst hinstecken sollen? Er hatte keine Verwandten, und der Vermögensverwalter seiner Eltern war ein New Yorker Banker mit Juraexamen, der den Jungen kaum kannte. Er hat das Jahr durchgestanden, und im Sommer 75 habe ich gehört, dass er langsam aus seiner Isolation herauskam und wieder mit Tommy bei Kincaid, Foster und Kincaid arbeitete. Die zwei waren unzertrennlich. Und dann passierte dieser Autounfall. Mir ist nie was von Ärger in Princeton zu Ohren gekommen, aber so gute Freunde waren Fitz und ich ja nicht, und was immer ich hörte, kam aus zweiter Hand, weil wir alle auf verschiedene Colleges gegangen waren. Er
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