Mrs Murphy 02: Ruhe in Fetzen
Linien.«
»Sie hat wenig Sinn für Dekoratives, also halt dich zurück, okay? Ich meine, sie ist nicht blöd oder was, aber sie hat wirklich kein Geld, deswegen kann sie nicht viel machen.«
»Verstehe vollkommen.«
Sie hielten vor der Scheune an und stiegen aus. Harry war gerade dabei, die Pferdeboxen auszumisten. Ihre Winterstiefel gaben Zeugnis von ihrer Beschäftigung. Die Türen der Boxen standen offen, während Harry die verbrauchte Streu in den Schubkarren warf. Am Ende des Ganges stand ein zweiter Schubkarren mit süß duftender Streu. Auch die Tür zur Sattelkammer war offen. Tucker begrüßte die Männer, und Mrs Murphy steckte den Kopf durch die Heubodenluke. Ein verirrter Strohhalm hing an ihren Schnurrhaaren. Als Harry die zwei Männer sah, winkte sie und rief »Hola!«. Orlando fand das lustig.
»Wer ist das?«, fragte Simon.
»Blair und sein Freund Orlando.«
»Sie wird sie doch nicht hier raufbringen, oder?« Das Opossum ging ängstlich auf und ab. »Einmal hat sie Susan mitgebracht, das fand ich gar nicht in Ordnung.«
»Das war wegen dem Ohrring. Ein Sonderfall. Sie werden nicht die Leiter raufklettern. Der eine ist viel zu gut angezogen.«
»Ruhe da unten.« Die Eule plusterte sich auf, drehte sich um und setzte sich wieder zurecht, erhaben über ihrer aller Unzulänglichkeiten.
Unten bewunderte Orlando die Architektur der Scheune. Sie war Ende der 1880er-Jahre gebaut worden; die massiven Balken würden noch jahrhundertelang als Stützen dienen.
Tucker bellte: »Da kommt wer.«
Ein weißer Range Rover hielt neben Blairs Explorer. Fitz-Gilbert öffnete die Tür und eilte in die Scheune.
»Orlando, ich habe dich bei Blair gesucht, und dann habe ich mir schon gedacht, dass ihr hier sein könntet.«
»Fitz … bist du es wirklich?« Orlando blinzelte. »Du siehst verändert aus.«
»Dicker, älter. Ein paar Haare weniger.« Fitz lachte. »Du siehst noch genauso aus, nur besser. Erstaunlich, was die Jahre mit den Menschen anstellen – innerlich und äußerlich.«
Während die zwei Männer sich die Hände schüttelten, bemerkte Harry in Fitz’ Fliegerjacke auf Brusthöhe eine Ausbuchtung. Es war keine gewöhnliche Fliegerjacke – sie war mit Gänsedaunen gefüttert, sodass sie Fitz warm hielt und er gleichzeitig flott aussah.
Tucker hob die Nase und schnupperte. »Murphy, Murphy!«
»Was?«
»Fitz riecht nach Angst.«
Mrs Murphy witterte. Menschen, die Angst hatten, verströmten einen kräftigen, beißenden Geruch. Dieser Geruch war unverkennbar, so stark, dass sogar Menschen mit einer – für ihre Verhältnisse – guten Nase ihn wahrnehmen konnten, wenn sie erst einmal gelernt hatten, ihn zu erkennen. »Du hast recht, Tucker.«
»Da stimmt was nicht«, bellte Tucker.
Harry bückte sich und tätschelte der Corgihündin den Kopf. »Ruhig, Kleine.«
Mrs Murphy rief hinunter: »Vielleicht hat er wieder eine Leiche gefunden.« Sie stockte. Wenn er eine Leiche gefunden hätte, hätte er es gleich gesagt. »Tucker, stell dich hinter ihn.«
Der kleine Hund schlich sich hinter Fitz, der sich munter mit Orlando, Blair und Harry unterhielt. Dann wechselte er die Tonart. »Wie bist du auf die Idee gekommen, dass der Mann auf dem Bild Tommy Norton ist?«
Orlando legte den Kopf schief. »Sah für mich eindeutig so aus. Wieso hast du ihn bloß nicht erkannt?«
Fitz zog den Reißverschluss seiner Jacke auf und holte eine tödliche, schimmernde .45er hervor. »Ich hab ihn sehr wohl erkannt. Ihr drei stellt euch jetzt da drüben an die Wand. Ich hab keine Zeit für lange Abschiedszeremonien. Ich muss auf die Bank und zum Flugplatz, bevor Rick Shaw merkt, dass ich hier draußen bin, und ich will verdammt sein, wenn ihr mir die Sache verpatzt, also …«
Während Orlando noch verwundert dastand, grub Tucker ihre Zähne bis zum Zahnfleisch in Fitz’ Bein. Er kreischte und drehte sich herum, aber der zähe Hund ließ nicht locker. Die Menschen stoben auseinander. Harry rannte in eine Box, Orlando verschwand in der Sattelkammer und machte die Tür zu, und Blair stürzte zum Wandtelefon im Gang, aber Fitz fasste sich und feuerte.
Blair stöhnte und taumelte in Gins Box.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, rief Harry. Sie hatte nicht gesehen, ob Blair getroffen worden war.
»Ja«, sagte der verdatterte Blair mit zusammengebissenen Zähnen. Wenn man von einer Kugel getroffen wird, ist die Wucht genauso schmerzhaft wie das Eindringen des Bleis ins Fleisch. Blairs Schulter pulsierte und
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