Mrs Murphy 05: Herz-Dame sticht
Tag, an dem ich mir eingestand, dass sie tot sein muss, war einer der finstersten meines Lebens. Und ich habe versprochen, alles in meiner Macht Stehende für ihre Kinder zu tun.«
»Sie haben Ihr Versprechen mehr als gehalten.«
»Die Schwerstarbeit war ja schon getan. Das haben Marylou und Charley besorgt. Als Chark nach Cornell ging und Addie nach Foxcroft, habe ich sie in den Ferien ab und zu bei Schulveranstaltungen gesehen. Schwierig war nur zu wissen, wann ich hart bleiben musste.« Sie lachte über sich selbst. »Bei Marilyn hatte ich damit nie Probleme, aber … sie haben ja auch einen so schweren Verlust erlitten. Manchmal frage ich mich, ob ich hätte strenger sein sollen, vor allem mit Addie.«
Bevor Harry etwas sagen konnte, hörten sie den Schuss. Mim trat zurück. Harry konzentrierte ihren Blick auf den Streckenabschnitt, in dem sie das Feld zuerst sehen konnte.
Wieder dieses unheimliche Donnern, und dann stürmten die Pferde dicht an dicht heran. Mims purpurrote Farben waren in der Mitte des Feldes, ein guter Platz für diese Abteilung des Rennens, das nur über 3200 Meter ging. Die Rennbrille vor den Augen, konzentrierte sich Addie auf den Sprung. Harry horchte auf das Schnaufen und die Rufe der Jockeys, als sie über das Buschwerk setzten, auf das »Wop-wop« und »Wischwisch«, als die Hinterhufe das Laub berührten. Und schon waren sie fort, rasten weiter, glitten in die Landsenke und stürmten wieder bergauf zum nächsten Hindernis.
Mim lauschte angestrengt auf den Rennbahnkommentator, der die Platzierungen durchgab. Als sie über Harrys Hindernis setzten, hob ein Pferd am Ende des Feldes zu früh ab und krachte durch das Hindernis, stolperte auf der anderen Seite, fing sich aber wieder.
Harry beobachtete das Pferd, das nicht verletzt, aber schrecklich erschöpft war. »Verdammt, warum bleibt er nicht stehen?«
»Weil es Linda Forloines ist. Die hetzt ein Pferd zu Tode.«
»Aber ich habe Linda erst vor zwanzig Minuten gesehen.«
»Zack Merchants Jockey ist im Führring getreten worden, gerade als er aufsitzen wollte. Linda ist schnurstracks zu Zack gelaufen, der natürlich verzweifelt war. Das Resultat spricht für sich.«
Der Lärm der Menge, eine eigenartig dumpfe Vereinigung von Stimmen, folgte den Pferden, und dann erschien das Feld wieder auf dem Hügel, Royal Danzig immer noch auf einem sicheren Platz in der Mitte.
Harry schüttelte den Kopf. »Linda ist ’ne ganz schräge Nummer.«
»Allerdings.« Mim schürzte die Lippen. Es lag ihr nicht, üblen Klatsch zu verbreiten, aber sie hatte einen solchen Widerwillen gegen die Forloines, dass es ihrer ganzen vorbildlichen Disziplin bedurfte, ihre Verachtung nicht jedem mitzuteilen, der es hören wollte.
»Zack Merchant ist auch nicht gerade einer von der edlen Sorte.« Harry fand es schrecklich, wie er mit Pferden umging; vor Kunden und neuen Auftraggebern kehrte er zwar den Tierliebhaber hervor, doch die anderen Pferdezüchter wussten von seinen brutalen Methoden. Bislang gab es aber keine Möglichkeit, Misshandlungen beim Rennsport zu ahnden. Es wäre ein bisschen so, als würde man einem Mann verbieten, seine Frau zu prügeln. Man mochte ihn deswegen hassen. Man mochte den Wunsch haben, ihm die Fresse einzuschlagen, aber irgendwie – man konnte es nicht, solange man ihn nicht auf frischer Tat ertappte.
Die Stimme des Rennbahnkommentators überschlug sich. »Vier Längen voraus in diesem Rennen ist Royal Danzig, Royal Danzig, Royal Danzig, Isotone geht mit Abstand als Zweiter über die Ziellinie, gefolgt von Hercule und Vitamin Therapy.«
»Gratuliere!« Harry gab Mim die Hand; Mim war keine Frau, die man spontan umarmte.
Mim nahm vorsichtig die dargereichte Hand. Ihr Gesicht lief rot an. Sie traute ihrem Glück nicht. Schließlich waren die Ergebnisse noch nicht offiziell. »Danke.« Sie blinzelte. »Ich gehe jetzt zu Chark und Addie. Das hat sie klug angestellt, im Feld zu bleiben bis zur Zielgeraden.«
»Sie haben einen sensationellen Tag.« Harry lächelte. »Und er ist noch nicht zu Ende.«
»Die offiziellen Ergebnisse des Montpelier Cup, zweite Abteilung: Royal Danzig, Isotone und Hercule.« Die Stimme des Rennbahnsprechers hatte einen rasselnden, metallischen Klang.
Mim entspannte sich. »Ah -« Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Gratuliere, Mrs Sanburne.« Tucker keuchte vor Aufregung.
Mim sagte: »Tucker will etwas.«
»Nein, ich freu mich bloß für Sie«, erwiderte Tucker.
»Tucker.«
»Warum sagst du
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