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Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Titel: Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Kelsey Moore
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Stadt zu finden, die versuchen würde, Minnie vom Springen abzuhalten. Selbst in ebendiesem Speiseraum gab es vermutlich eine ganze Reihe von Leuten, die gerne zu ihr aufs Dach klettern würden, allerdings nur, um ihr einen Schubs zu geben. Und das in der vollen Überzeugung, der Welt einen Gefallen damit zu tun, wenn sie ihr Ableben etwas beschleunigten. Nein, diese Leute hier waren sicher keine geeigneten psychologischen Berater für eine potentielle Selbstmörderin.
    Nun stand Minnie mit ausgebreiteten Armen wie Jesus am Kreuz da, und ihre lila Kutte blähte sich im Wind wie die Segel eines Schiffes. Ein besonders starker Luftstoß riss ihr den Turban vom Kopf. Als sie versuchte ihn zu erhaschen, stolperte sie so ungeschickt nach vorn, dass alle den Atem anhielten. Minnie taumelte ein paar Sekunden, fing sich dann aber wieder. Dann breitete sie ihre Arme wieder in der Märtyrerposition aus. Sie wirkte wütend und trotzig, und ein paar graue Haarsträhnen, die sich aus dem Haarnetz unter ihrem Turban gelöst hatten, tanzten im Wind.
    Wir sahen ihr alle noch eine Weile länger zu. Dann stieß Little Earl, der von seiner Frau aus der Küche herbeigerufen worden war, einen Seufzer aus. »Ich denke, ich geh mal lieber und rede mit ihr.« Er nahm seine Schürze ab und kam hinter dem Büffet hervor. Doch er blieb an der Eingangstür stehen, als er bemerkte, dass jemand in Minnies Vorgarten aufgetaucht war und sich lebhaft mit ihr unterhielt.
    Eine schlanke junge Frau, die eine pinke Schachtel mit der Aufschrift »Donut Heaven« unterm Arm trug, stand mitten auf dem Rasen. Sie hatte ein langes weißes Kleid an, das aussah, als hätte es schon bessere Tage gesehen. Der ausgefranste Saum hing in Fetzen herunter, als habe ihn jemand mit der Schere bearbeitet. Flecken verschiedenster Größe und Farbe sprenkelten den Stoff. Zuerst sah es so aus, als hielten sie und Minnie eine zwanglose Unterhaltung, aber dann fing die junge Frau plötzlich an, Minnie mit der Faust zu drohen, und plötzlich war klar, dass es sich um alles andere als einen netten Plausch handelte.
    »Ich glaub’s nicht«, sagte Clarice. »Das ist Sharon!«
    Ich kniff die Augen zusammen und sah, dass es sich tatsächlich um Sharon handelte, die Beinahe-Ehefrau des nun wieder inhaftierten Clifton Abrams. Man konnte beobachten, wie sich Sharons Gesten von gereizt zu fuchsteufelswild steigerten. Nun streckte sie der alten Frau auf dem Dach statt der Faust sogar den Mittelfinger entgegen.
    Clarice sagte: »Ich sollte Veronica anrufen.« Sie drehte sich um, um an ihre Handtasche zu gelangen, die an der Stuhllehne hing, und fischte so lange darin herum, bis sie ihr Telefon gefunden hatte. Dann rief sie ihre Cousine an.
    »Hallo, Veronica, ich bin’s. Ich bin gerade im All-You-Can-Eat beim Essen, und Sharon ist eben aufgetaucht … Nein, sie isst nicht mit uns. Sie steht auf der anderen Straßenseite, und es sieht so aus, als hätte sie eine Auseinandersetzung mit Minnie … M-hm … Und Veronica, sie hat ihr Hochzeitskleid an … Wirklich? Jeden Tag? … Na ja, bis jetzt steht sie bloß da und schreit Minnie an, und sie hat eine Donut-Heaven-Schachtel unterm Arm.«
    Das Kreischen, das vom anderen Ende der Leitung kam, als der Name »Donut Heaven« fiel, war so laut, dass Clarice das Telefon so weit von ihrem Ohr weghielt, wie es ihre Armlänge zuließ. Als das Geschrei nachließ, legte Clarice den Hörer wieder ans Ohr. Sie hörte einen Moment lang zu und sagte dann zu Veronica: »Das kann ich aus dieser Entfernung nicht sicher sagen, aber ich würde tippen, dass es die Familiengröße ist.« Wieder erklang ein Kreischen. Diesmal war es jedoch so kurz und schrill, dass Clarice gar nicht dazu kam, das Telefon schnell genug vom Ohr wegzuhalten. Sie hörte noch ein paar Sekunden länger zu und legte schließlich auf. Dann, an uns gerichtet, sagte sie: »Veronica ist gleich hier.«
    Wir wandten uns wieder dem Spektakel auf der anderen Straßenseite zu. Im Restaurant war es nun so still geworden, und Sharon brüllte so laut, dass wir das eine oder andere Wort verstehen konnten. Und das, obwohl sie dutzende Meter entfernt war und wir außerdem durch eine dicke Glasscheibe von ihr getrennt waren. Je wütender sie wurde, desto wilder gestikulierte sie. Die Situation spitzte sich noch zu, als sie die Donutschachtel öffnete, ein langes Schokoladeneclair herausholte und es wie einen Speer nach Minnie warf. Die Zuschauer im Restaurant brachen in belustigtes und erschrockenes

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