Muckefuck
braune Gefahr: »Gesindel«, rief er, »Ihr Betrüger da oben! Tagediebe! Wie viele Steine habt ihr heute wieder geklaut?«
Die Maurer lachten. Manchmal, wie aus Versehen, traf Herrn Reh ein wenig Mörtel, der von der Kelle spritzte. Die Dohle schlug erschreckt mit ihren gestutzten Flügeln und flatterte zu Boden. Herr Reh hob sie aus dem Staub auf. Er drohte mit der Faust nach oben, wo die Maurer standen und grinsten. »Tierquäler«, rief Herr Reh. -»Scheibenkleister«, sagte die Dohle.
Siegfried führte die Laubenkinder an, die Jungen, denn die Mädchen scharten sich ja um die kesse Ingrid. Siegfried ging im Augenblick in meine Klasse, obwohl er drei Jahre älter war. Er blieb so oft sitzen, dass sie ihm zu Ostern immer eine neue Bank ins Klassenzimmer stellen mussten, in den Normalbänken blieb er inzwischen stecken. Siegfrieds Mutter versuchte, die Misere durch betont knabenhafte Matrosenanzüge zu verschleiern, in denen Siegfried aussah wie Tarzan als Bootsmannsmaat. Wo Siegfried hinschlug, blieb kein Auge trocken. So war es mir eher unheimlich, als er an der Spitze einer Delegation von Laubenkindern vor unserem Gartenzaun erschien, schrill pfiff und mich so zur Pforte rief. Da hatte man zu folgen!
»Was ist?«
»Ihr zieht um? In die Siedlung?«, fragte Siegfried, an einem Grashalm kauend. Die anderen standen stumm um ihn herum, die Ponys vom Glatzemitvorgarten-Haarschnitt auf die Augenbrauen hängend.
»Noch nicht«, murmelte ich heiter lächelnd.
»Aber ihr baut?«
»Meine Eltern, ja, die bauen.«
»Da gibt es Zigarettenbilder?«
»Ja.«
»Abliefern. Bei mir. Wöchentlich!«
Siegfried drehte sich um, die Bande trabte ab.
Das war eine schöne Bescherung, hätte Minnamartha gesagt. Mir fehlten noch ein Haufen Bilder zur Komplettierung der Serie Das Deutsche Heer im Manöver.
Wenn ich die Bilder von der Baustelle jetzt bei Siegfried abliefern musste, rückte mein Ziel, alle Bilder dieser Serie zu haben, wieder in weite Ferne. Außerdem fand man längst nicht in allen weggeworfenen Schachteln Bilder, weil viele Arbeiter sie mit nach Hause nahmen, für ihre eigenen Kinder.
Vielleicht würde es mir gelingen, die alten Kavalleriestiefel, an die nun niemand mehr dachte, aus dem Keller zu mausen und sie Siegfried zu geben? Konnte ich mich damit freikaufen? Aber wenn er nun gar keine Kavalleriestiefel haben wollte? Auf so was konnte ich es vielleicht gar nicht ankommen lassen. Die Knaben, die ihn als Führer erwählt hatten, waren auch nicht von Pappe. Und außerdem drangsalierten sie mich sowieso auf dem Schulweg. Wenn ich ihnen die Bilder nicht brachte, wusste ich genau, was mir bevorstand. Der Zimmereiplatz beim Feld war ganz in ihre Hände gefallen.
Eine schöne Bescherung . Also trabte ich jetzt zweimal täglich auf die Baustelle und äugte nach leeren Schwarz-Weiß-Packungen , zog gleich auch noch eine Schleife zu derGroßbaustelle – drei Häuser – auf der Herrn Rehs Eigenheim wuchs und graste auch da das Terrain ab. Allerdings musste ich das gleich nach der Schule tun, weil ich sonst in die Fänge der blassen Siedlungskinder geriet, die genauso hinter Zigarettenbildern her waren wie ich. Einzeln schaffte ich sie zwar, aber sie traten immer zu mehreren auf. Außerdem schmissen sie von Weitem Lehmbrocken nach mir, und zwei oder drei verkrustete Kopfwunden waren schon unter meinen Haaren versteckt, Krusten, die ich vor Minnamarthas Kamm hüten musste.
Wenn ich genau den Zeitplan einhielt, – noch ein bisschen später am Nachmittag war natürlich alles abgeerntet -, bekam ich genügend Bilder zusammen, um einige für mich abzuzweigen. Den Rest stellte ich für die wöchentliche Lieferung an Siegfried zusammen. Die Übergabe war einfach: Draußen pfiff es, und ich brachte die Bilder ans Gartentor. Erst mal nur solche, die ich schon besaß: Gulaschkanone auf dem Weg zur Front , oder: Leichte Panzer im Vormarsch. - Von Rückzügen war auf den bunten Bildchen keine Rede.
Bei der dritten Ablieferung allerdings fragte Siegfried:
»Wer bekommt eigentlich die Bilder von den drei Häusern?«
So scheinbar ahnungslos wie möglich fragte ich: »Welche drei Häuser?«
Siegfried ging blitzschnell in Vorlage und schob mir über das Gartentor hinweg eine, dass mir der Schädel dröhnte.
»Du kriegst gleich eine an’n Bahnhof, dass dir alle Gesichtszüge entgleisen«, zischte er. »Her mit dem ganzen Zeug! Du bist beobachtet worden!«
Ich trottete in die Laube zurück und holte noch einen Stapel Bilder.
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