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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Kind, so dünn, dass einmal ein Ullsteinfotograf Bilder von mir machte, die veröffentlicht wurden, um Spenden für hungernde Kinder in Asien zu erheischen. Meine Streichholzbeine besaßen nur in der Kniegegend knotenartige Verdickungen, wie bei Fohlen oder Pelikanen. In Badekostümen für mein Alter schlotterte ich, am Brustkorb konnte man, wie mein Vater behauptete, selbst durch den Wintermantel hindurch die Rippen zählen. Wo Minnamartha und ich miteinander auftraten, bildeten sich Zuschauergruppen.
    Da die Eltern beschäftigt, die Freunde rar waren, erinnerte ich mich Onkel Huberts, der eine Laube in einer anderen Kolonie bewohnte, vielleicht zwanzig Minuten zu Fuß entfernt. Onkel Hubert war von Beruf Bierfahrer, er roch auch nach Bier, nach Tabak, und trug Ribbelsamthosen. Onkel Hubert hatte sich in letzter Zeit rar gemacht, er fand es überflüssig, dass »wir bauten«.
    Seine Begrüßungen mied ich. Durch ständigen Umgang mit schweren Bierfässern gekräftigt, drückte er einem die Hand, dass man sie Minuten lang zwischen die Beine stecken musste, bis der Schmerz nachließ.
    Onkel Hubert widmete sich, auf etwa vierhundert Quadratmetern, vorwiegend dem Maisanbau. Die Körner verfütterte er an seine Hühner. Seine Laube lag, kaum zu entdecken, in einem Dschungel von Maispflanzen. Nur auf einem zweimal zwei Meter großen Rasenplatz vor der Tür war es möglich, jenen Liegestuhl aufzustellen, auf dem sommers nach der Arbeit seine damals siebzehnjährige Tochter Mathilde ruhte und sich bräunte. Eine tolle Motte, wie wir alle fanden. Schlank war sie, eigentlich aus der Familie geschlagen, wie ich auch, denn alle anderen waren kräftig und untersetzt. Mathilde trug die neuesten Sonnenbrillen mit dickem weißem Rand, schmierte sich Creme ins Gesicht und befleißigte sich einer neckischen Sprache, etwa: »Ach, Karlchen, Lütter, sind wir wieder mal da?« Onkel Hubert sagte schlicht, wenns ihm zu viel wurde: »Halt die Klappe, Mathilde.« Im Übrigen verstanden sich die beiden ausgezeichnet. Trotz der zickigen Tochter und eingedenk der Tatsache, dass Onkel Hubert außer seinem Händedruck wenig bot, ging ich doch gerne zu ihnen, trank, auf einem Küchenhocker sitzend, Muckefuck aus einer Blechtasse und verschlang ein Stück zerquetschten Streuselkuchen, den Mathilde in ihrer Handtasche mitgebracht hatte, eingezwängt zwischen all den sonderbaren Utensilien, die sie zur Erhaltung ihrer Schönheit brauchte, ihre Cremetöpfe eben, Haarkämme, Spangen, Duftwässerchen, Abführmittel und in einer Tube was gegen Gesichtspickel, unter denen sie litt. Ihr Freund war, so erzählte sie jedem, ein Matrose, der auf einem Zerstörer fuhr. Aber der Zerstörer legte nie an, oder er war in Grönland stationiert.Den Freund, später sogar als Verlobter bezeichnet, sahen wir nie. Wenn ich bei günstiger Gelegenheit Onkel Hubert danach fragte, zuckte er nur die Schultern. Für blaue Jungs war er nicht zuständig. Onkel Hubert tauchte erst wieder im Familienkreis auf, als das neue Haus fertig war, endlich fertig, nach Tapetenkleister und frischer Fußbodenfarbe riechend. Bereitwillig kamen er, in Ribbelsamthosen wie immer, und Onkel Adolar, der ein weißes Hemd und eine Fliege trug, der Aufforderung Minnamarthas nach, beim Umzug zu helfen.
    Zuerst wurden die Teppiche ausgelegt, die nun hier, in der neuen Umgebung, ein wenig fadenscheinig wirkten. Weil die Farbe klebte, befahl Minnamartha: »Legt Zeitungspapier unter! Da, wo man hintritt!«
    Schließlich brachte ein Tempodreirad in mehreren Fahrten das übrige Umzugsgut aus der Laubenkolonie, Betten, Tische, Chaiselongues wurden auf die einzelnen Zimmer verteilt, nahmen sich kümmerlich aus, denn in einer Wohnlaube ist eben weniger Platz.
    Schweigend schauten die Nachbarn aus ihren Häusern zu, wie die Laubenmenschen ihr Gerümpel in dem neuen Haus verstauten, und wünschten uns sicher zum Einzug allerlei Übles. Nur Herr Reh, der erst in ein paar Wochen mit seinem Umzug dran war, brachte ein Alpenveilchen und Salz und Brot, das Salz in einem Säckchen. Noch viele Jahre später, vor dem Ende der Hausbesitzerepoche, entdeckte ich beides in einer Schublade, das Brot steinhart.
    Onkel Hubert und Onkel Adolar gestalteten den Umzug zu einem lustigen Fest. Schon am Tag zuvor hatte Onkel Hubert, mit seinem Bierfuhrwerk vor den hoch sich türmenden Aushubsandbergen parkend, ein Fässchen Bier abgeworfen. Onkel Adolar brachte eine große Flasche Korn, und Minnamartha hatte Puvogel aufgetragen,

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