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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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hatten damals die wenigsten. Und Ede, fest entschlossen, den Sprung zum Hausbesitzer zu machen, fuhr jetzt selbst mit. Nachtschicht, weil das mehr brachte. Erstens war der Tarif höher, und zweitens gaben die Betrunkenen mehr Trinkgeld.
    Alles wurde in Ziegelsteine, in umbaute Meter umgerechnet. Die Siedlungshäuser, vor wenigen Jahren errichtet, sahen alle mehr oder weniger gleich aus, von einer Wohngesellschaft auf billigste Weise errichtet.
    Unsere neue Heimat lag noch winterlich brach, Grünkohlzeit war es, die Laube dampfte vor Hitze, weil mein Vater, vom Nachtdienst durchfroren, »tüchtig Einkacheln« befohlen hatte. Die Presskohlen waren im Schuppen neben den Stallhasen gestapelt. Der Architekt, der von der Siedlungsgesellschaft kam, musste erst die Jacke ausziehen, dann den Schlips lockern, dann die Ärmel hochrollen, fast bis dahin, wo er Gummibänder um die Oberarme trug, weil die Ärmel ihm sonst – im unaufgerollten Zustand – zu weit aus der Jacke geschaut hätten.
    Der Architekt brachte viele Rollen mit, Blaupausen, auf denen das für uns vorgesehene Heim sehr nett aussah. »Ist doch ganz adrett, nicht?«, fragte jedenfalls Minnamartha, der Architekt bestätigte das geflissentlich, Ede brummte. Es gab Typ eins A, zwei A, zwei B und drei A. Sie unterschieden sich geringfügig in der Größe. Minnamartha war für einen mittleren Typ, das sah nicht so aufschneiderisch aus und war im Platz ausreichend. Damals wusste sie nicht, dass im Bezug auf Widerstand gegen die Druckwellen von Luftminen die geringste Mauerfläche am günstigsten ist.
    Der Architekt rollte seine Papiere zusammen, seine Ärmel herunter, zog den Schlips zu, fuhr in Jacke und Ulster und ging wieder. Vier Monate später, es war März und der Jahrestag der Saarheimkehr, rollten Lastwagen an das Grundstück, das ich Dornimauge nannte. Der Architekt, leichtsinnig ohne Mantel, aber den Hut auf, sprang umher, verscheuchte die Siedlungskinder, die ihre eingestürzten Höhlen wieder aufbauen wollten, und wies Arbeiter an, wo sie die Markierungen zum Ausschachten setzen sollten.
    Damals erledigte das keine Planierraupe an einem einzigen Tag, es gab auch keine Fremdarbeiter, sondern Schwarz-Weiß rauchende, Zigarettenbilder (das Deutsche Heer im Manöver) umherstreuende Arbeiter hoben das Loch für den Keller aus. Zwei Wochen lang. Inzwischen wurden Mauersteine angefahren und Zement und viel Kalk und Sand, in dem die Siedlungskinder wüteten, und bald wuchs unser Haus. Die Mörtelträger tranken viel Bier und trugen Holzklotzen und weiße Fußlappen. Mit gemessenem Schritt stiegen sie die Leitern hinauf. Oben klatschten die Maurer, die auch viel Bier tranken, den Mörtel geschickt auf die Steine, arbeiteten mit Wasserwaage und Senkblei, und zogen die Mauern hoch. Jene Mauern, die mich bald ganz trennen würden von den Freunden der Kolonie Tausendschön, von der zahmen Dohle Jakob, der Fummelpoplerin Ingrid, von Häschen mit den Polstern an den Handgelenken, von Busebergs Holzhand, dem Malzbier im Emailleeimer und den summenden Schmeißfliegen in der spundbrettverschalten Küche.
    Eines Tages kam Herr Reh, Jakob auf der Jacke. »Sie bauen?«, fragte er. Ede zuckte verlegen die Schulter, sich seines Verstoßes gegen die Sitten der Kolonie Tausendschön bewusst. Minnamartha gackerte »Unverhofft kommt oft, nicht?« Die Dohle hielt den Kopf schräg und sah sie vorwurfsvoll an. Es wäre nicht nötig gewesen, denn ausgerechnet Herr Reh, Altkommunist und Züchter von Vögeln, die staatszersetzende Parolen krächzten, dieser Herr Reh überraschte durch die Mitteilung: »Ich baue nämlich auch.«
    Herr Reh erklärte schnarrend und mit vielfachem Räuspern aus seiner strapazierten Raucherlunge, dass die Siedlungsgesellschaft ihr Areal erweitere, drei Häuser, nach der anderen Seite hin. Und so habe er sich entschlossen. Typ eins A nur, das Kleinste. Ganz bescheiden.
    »Meine Frau will das so«, sagte Herr Reh und ging wieder, meine Eltern in Staunen zurücklassend.
    Bei den gelegentlichen Expeditionen, die ich nun in unsere zukünftige Heimat unternahm, sah ich zuweilen auch Herrn Reh, den gewandelten zukünftigen Hausbesitzer, wie er seine Baustelle beaufsichtigte. Er hüpfte durch Geröll und Zementstaub, Jakob auf der Schulter, der sein Repertoire durch das Wort »Scheibenkleister« erweitert hatte. »Scheibenkleister«, sagte auch Herr Reh, wenn er ausrutschte, und dann beschimpfte er die Arbeiter, sicher doch seine einstigen Kampfgenossen gegen die

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