Muckefuck
Lazarette waren überfüllt. »Es macht dir doch nichts aus?«, fragte Othmar. Menschlein beeilte sich zu versichern: »Selbstverständlich nicht.« Von meinem Feldmarschall Blomberg ging der Grußarm verloren, den man zum Helmrand bewegen konnte. Da war ich ein bisschen traurig.
Othmar fand, ich sei wenig mutig. Deshalb band er mich manchmal nachmittags an einen Baum, mit dem Hinweis, ich müsse mich an diese Marter gewöhnen. Dabei hätte ich ihm mindestens fünf Akazien zeigen können, an die mich die Laubenkinder früher gefesselt hatten. Minnamartha suchte mich lange, befreite mich zuweilen, einige Male gelang es mir, die Fesseln selbst abzustreifen. Ich schob alles auf die Laubenkinder, denn ich wollte mir Othmars Freundschaft erhalten.
»Kind, was soll das noch werden«, sagte Minnamartha.
Einmal nahm ich Othmar mit zu Onkel Hubert und Mathilde. »Ach, diese süßen Löckchen«, piepste Mathilde, ungeheuere Crememengen auf ihrem Antlitz verreibend. Onkel Hubert drückte Othmar die Hand. Darauf behandelte Othmar mich drei Tage lang mit Hochachtung.
Auch Ede, mein Vater, war zuerst in der neuen Umgebung nicht sehr glücklich. Von den Nachbarn kamen wiederholt Beschwerden, weil Edes Lachtauben schon morgens um fünf zu gurren anfingen. Um die Zeit stand hier noch niemand auf. Außerdem kostete das Haus weiter Geld, Hypothek und Amortisation mussten zurückgezahlt werden, der Endausbau verschlang große Summen. Die Heiermänner rollten dahin. Großmutter schüttelte bedenklich den Kopf und murmelte:
»Das wird bös enden.«
»Nu macht mal nen Punkt«, sagte Ede eines Tages. »Wir lassen alles, wie es ist. Wenn die Zeiten so weitergehen, sind wir sowieso im Eimer. Diesen Sommer verreisen wir.«
»Ede, du bist verrückt?«, rief Minnamartha. Großmutter beschwichtigte: »Abwarten. Es ist ja erst Mai.«
Dieser Mai kam mit sengender Hitze. Auf dem Schulhof sprengte der Hausmeister den staubigen Kies. Ein erfrischender Geruch drang durch die offenen Fenster in die Klasse. Großmutter suchte im Garten nach den ersten reifen Erdbeeren, so lange sie denken konnte, hatte es so früh noch keine gegeben. Der Biermann kam jetzt jeden Donnerstag und lud ein kleines Fass Pupenbier ab. Der Eismann brachte eine Stange Eis. Die Posthornstifte, mit denen ich am Nachmittag nun erste vollständige Sätze ins Heft malte, schmierten.
Der Juni kam, und schließlich gab es große Ferien. Es wurde wieder einmal Geld gezählt, schließlich ging es um unsere Reise. Großmutter wollte daheimbleiben, sie hielt nicht viel davon, dass Leute ohne Sinn und Zweck in der Gegend umherfuhren. »Hier ist genug Gegend«, sagte sie. Gut, das kam billiger.
Trotzdem krachte Minnamartha verzweifelt aufs Sofa und murmelte: »Meingottmeingott, wir können uns das gar nicht leisten.« Ede lachte: »Wollt ihr warten, bis der Führer euch zwangsverschickt?«
Dann ging es los, wir wollten an die Ostsee. Ede hatte vor ein paar Monaten eine Taxe in einen Privatmietwagen umgewandelt, und in dieses Gefährt verstauten wir so ungefähr ein Drittel des Hausinhaltes. »Ede«, hatte Minnamarthagerufen, »glaubst du etwa, ich schlafe in fremden Betten? Wir nehmen doch unsere Federbetten mit!« Und: »Ede, die Handtücher. Stell dir vor, in einer Pension, wer sich schon alles mit den Handtüchern abgetrocknet hat. Ede, da wollen wir doch unsere eigenen Handtücher haben!«
Endlich war alles verstaut, wir wollten an die Ostsee. Um zehn fuhren wir los. Um neun hatte ich noch auf dem zum letzten Mal vor den Ferien gesprengten Schulhof gestanden, im Karree angetreten mit den anderen Jungen, und hatte heimlich mit der linken Hand meinen rechten Arm gestützt, den man zwei Lieder lang hochhalten musste. Aber jetzt rollten wir aus der großen Stadt hinaus, in deren Straßen die Hitze flimmerte, und Kornfelder waren da und Wälder und Sonne. Als wir zum Picknick hielten, fuhren ein paar Radler vorbei. Der eine sagte: »Kieck mal, der hat Berliner Luft in de Reifen.« Ede drückte auf die Tube, wir brausten durch jene Heide, auf der die Bisons des neuen Reichsjägermeisters weideten, eine Rückzüchtung. Bisons waren im Aussterben begriffen, seit Buffalo Bill und andere Amerikaner sie in der Prärie abgeknallt hatten, vom Fenster der Expresszüge aus zuletzt. Schließlich kamen die Dünen und das Meer und die Strandkörbe und der Anlegesteg für den kleinen Küstendampfer. Ede zog weiße Leinenhosen an, eine blaue Jacke, setzte eine Seglermütze auf.
Er sah zum ersten
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