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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Schäferin bedeckte die Stirn mit ihrer Hand, um einen Nachen besser sehen zu können, der, zwanzig Zentimeter entfernt und mit drei Personen besetzt, dem Ufer eines grünlichen Sees zustrebte, eben jenem felsigen Rand, auf dessen Höhe Schäferin und Schafe sich befanden. Im Hintergrund erhoben sich Berggipfel bis zum oberen Rand des Wandteppichs. Das Verblüffende war, dass sich die Schäferin am linken Rand des Bildes noch einmal wiederholte. Auf verlorenem Posten stand sie, denn dort musste sie notgedrungen ins Nichts gucken, oder höchstens auf die golddurchwirkte Tapete, die Ede und Minnamartha mit feinem Sinn für Neubauluxus hier hatten kleben lassen. Der See war abgeschnitten, der Rand des Teppichs grün gesäumt. Es handelte sich umeinen Wandbehang vom Meter, auf dessen Bahn sich die Motive wiederholten.
    So war das neue Haus schnell in eine Stätte des Ästhetischen verwandelt, wo es sich leben lassen musste. Auch das mir zugewiesene Zimmer, zwar nach Norden gelegen und trotz des großen Fensters ein wenig dunkel, glänzte durch reiche Dekoration. Diesmal auf meine Veranlassung war das Kavalleriebild mit Ede hier aufgehängt worden, dazu noch einmal Ede im Buntdruck bei der Attacke mit eingelegter Lanze, und ein vernickelter Säbel, Scheide und Klinge gekreuzt.
    Die Klinge reich ziseliert, ein Paradedegen also. Ich konnte zufrieden sein.
    Ein anderes Zimmer im ersten Stock, klein, aber sonnig, war ganz anders eingerichtet als die übrigen Räume. Dort gruppierten sich neben einem Messingbett Alte-Damen-Möbel: ein Kommödchen, ein Vertiko, ein Lehnsessel mit vielen Schnörkeln. Ob Oma sich oben was kochen kann, -die Frage war nicht gelöst. Augenscheinlich aber war dieses Zimmer für Oma bestimmt, für meine Großmutter, die also anscheinend die Tante in Küstrin zu verlassen gewillt war, um hier Quartier zu nehmen.
    Küstrin, jene Festung, in der Kronprinz Friedrichs Freund Katte hingerichtet worden war, lag an der Bahnstrecke von Schneidemühl, und aus jener Richtung war meine Großmutter ursprünglich gekommen. Jahrelang hatte sie sich polnischen Behörden widersetzt, die sie, nach verlorenem Krieg, von ihrem Wohnsitz im sogenannten Korridor, früher Westpreußen, später Generalgouvernement, zwischendurch und neuerdings wieder Polen, vertreiben wollten. Schließlich wurde die Angelegenheit lästig, die Polen mochten unter sich sein. Großmutter packte zwei Reisekörbe und eine Holzkiste, auf der Hoffman’s Reis stärke zu lesen sowie ein Katzenkopf abgebildet war, mit ihren Habseligkeiten und etlichen Dauerspeckseiten, beantragte eine Fahrkarte und bestieg den Dampfzug Richtung Westen. Küstrin war ihre erste Station, dort wurden – es waren wieder einmal schlechte Zeiten – die Speckseiten verzehrt. Dann hieß es, Großmutter würde zu uns ziehen.
    Eines Tages war es so weit. Ede holte Großmutter mit einer seiner Taxen vom Bahnhof ab, er fuhr vor, eine mir uralt erscheinende Frau stieg aus, mit Dutt und runder Brille, beäugte das Haus und sagte: »Teufelnicheins.« Dann begrüßte sie uns. Die leere Kiste von Hoffman’s Reisstärke hatte sie mit.
    Unsere Nachbarn zeigten sich, die neue Zeit betreffend, linientreuer als das Laubenvolk, das mit Ausnahme Herrn Gallerts der neudeutschen Bewegung ja misstrauisch und ablehnend gegenüberstand. Die halbfeinen Siedlungspinkel trugen Parteibonbons oder gar, an Sonn- und Feiertagen, sogenannte Goldfasanuniformen mit Breeches, und auch die Kinder liefen oft in Pimpf- und BDM-Uniformen herum. Auf uns waren alle sauer, die Kinder, wie ich vorausgesehen hatte, besonders auf mich, denn ihr schöner Spielplatz war hin. Die Laubenkinder hatten versucht, die Fenster unserer Laube einzuschmeißen, was Ede verhinderte, indem er Fensterläden und Türen mit schweren Vorhängeschlössern sicherte. Jetzt zogen sie, der stramme Siegfried an der Spitze, mit Stecken bewaffnet durch die Siedlung und verprügelten die feinen Kinder. Mich auch. Gegen Würfe mit Lehmklütern zeigten sie sich unempfindlich. Zwar saßen wir in der Schule in derselben Klasse, aber diese Gemeinschaft war bereits am Schultor aufgehoben. Schwere Zeiten.
    Uns gegenüber wohnte Othmar, ein schöner, blond gelockter Knabe. Bald erwies Othmar mir herablassend die Ehre seiner Freundschaft, die etwa einem Herren-Diener-Verhältnis entsprach. Ich durfte seinen Ranzen tragen, und wenn wir mit Lineolsoldaten auf den Sandbergen vor unserem Haus spielten, wurden meine Linien bombardiert, seine nicht. Die

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