Muckefuck
ein anknöpfbares Vorhemd auf, an dem der Schlips fertig angenagelt war. Das knöpfteer vor, bediente sich aus der Schnupftabakdose, machte ein paar Nieser und begann den Feiertag.
Noch etwas anderes enthielt der Margarinekarton.
Schwager gefielen die Heidelbeermarmeladenstullen genauso wenig wie uns. Deshalb hatte er sich in günstigen Augenblicken einen Geheimvorrat von Schinken und Wurst angelegt. Sonntags schnitt er für sich und für uns über den Daumen schöne Scheiben herunter. Wir saßen auf seinem Bett und kauten und ernährten uns im Voraus für die kommende karge Woche.
Es war schön an den Sonntagen in Schwagers Kämmerchen. Wir probierten auch das Tabakschnupfen. Aber das ging schlecht. Schwager lachte. Abends schmiss er sein Vorhemd mit Schlips wieder in den durchgefetteten Karton, und Sonntagsstaat und Würste verschwanden unter dem Bett. Der Leiterwagen rasselte auf dem Hofpflaster. Bauer, Bäuerin und der wabblige riesige Kronensohn kehrten vom Verwandtenbesuch zurück. Es gab Pellkartoffeln und weißen Käse. Wir aßen auch das noch auf, um keinen Verdacht zu erregen.
Die kaschubische Großmutter schaukelte den Kronensohn in der Sonne und überwachte die junge Ukrainerin, die Mädchen für alles war.
Auch diese zwei hielten ihre Sonntagsfressorgien, wenn die Bäuerin nicht da war. Sie backten Kuchen, kochten sich eine riesige Kanne aufgebesserten Muckefuck und saßen damit vor der Küche. Ab und zu stand die Großmutter auf, machte einige Schritte und ging leicht in die Kniebeuge. Unter ihren knöchellangen Röcken kam nach ein paar Sekunden in den Ritzen zwischen den runden Steinen, mit denen der Hof gepflastert war, ein schmales Rinnsal hervor. Die alte Frau konnte das Wasser nicht mehr halten. Längst hatte sie es deshalb aufgegeben, unter ihren langenRöcken Hosen zu tragen. Schnell versickerte die Feuchtigkeit zwischen den Steinen.
Wenn wir an den Sonntagen, nach langem Fußmarsch, durch den knöcheltiefen Sand gewatet waren, der von den Wanderdünen zwischen die Kuscheln wehte, lag das Meer plötzlich vor uns. Am Ende des Strandes stand ein roter Leuchtturm, der nachts die Schiffe vor den drei Sandbänken warnen sollte, die hier der Küste vorgelagert waren. Die Sandbänke schimmerten gelb durch das grüne Wasser. Wir zogen uns aus. Zwanzig helle Hinterteile blitzten unter braun gebrannten Rücken. Niemand sah uns. Der Leuchtturm war weit entfernt. Hinter uns auf der Düne lag der Schuppen mit dem Rettungsboot, links, ein paar Hundert Meter weiter, steckte das Wrack eines gestrandeten Schiffes mit rostigen Spanten im gelben Sand. Wulle schwamm weit hinaus, bis hinter die dritte Sandbank, in deren Nähe schon die kleineren Küstenschiffe vorbeizogen. Hier erlebte er den Höhepunkt seiner fäkalischen Lust. Er kackte ins Meer. Braunes schwamm weit draußen an der Oberfläche, während Wulle sich erleichtert mit langen Kraulschlägen wieder zur Sandbank drei zurückschlängelte.
Eines Morgens sagte Schwager zu Othmar und mir: »Habt ihr gesehen, wie der Roggen steht?« Das war eine müßige Frage. Wir hatten keine Ahnung, wie der Roggen stehen musste. Schwager schulterte die Sense, und wir gingen hinaus zu Schlag neun, am Waldrand, um anzumähen. Morgen sollte der Mähbinder aus dem Nachbardorf kommen.
Der erste Erntetag im Roggen war immer ein Fest. Struchen Johann und Schwager zogen deshalb am nächsten Morgen weiße Leinenhosen und weiße Hemden an. Die Ukrainerin band sich Blumen ins Haar. Auf dem Feld wartete schon der Mähbinder, ein silbernes Ungetüm, das sich rasselnd in den Roggen fraß. Er spuckte die fertigen Garben auf die Stoppeln, und wir stellten sie zusammen. Gegen Mittag kam die Bäuerin. In großen blanken Milchkannen brachte sie Kartoffelsuppe. Alle löffelten. Dann ging die Arbeit weiter, im gleichen Rhythmus, bis zum Abend. Da fielen die letzten Halme. Die Pferde standen schwitzend still. Ihr schwarzes Fell glänzte. Die Schweife peitschten. Der Schlag war leer. Wir fuhren auf den Wagen nach Hause.
So ging es jetzt mehrere Wochen hindurch. Manchmal mussten wir auch sonntags aufs Feld. Jeden Mittag kamen die Suppenkannen. Schwager mähte die Felder an. Othmar und ich stellten die Garben auf. Wir sahen keinen Sommerhimmel mehr, keinen Baum, nur die Halme und die Garben vor uns, nach denen wir uns bückten. Unsere Hemden zerrissen von der Berührung mit Stroh, Grannen und Disteln. Über den Knien platzten die morschen Hosen. Unsere Haare bleichten, bis sie so hell
Weitere Kostenlose Bücher