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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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waren wie Schwagers Schnupftabak, den wir in spitzen Tüten aus Struchen Mariechens Kolonialwarenladen holten.
    Bei Struchen Mariechen konnte man vom Schnürsenkel bis zum eisernen Ofen alles kaufen. Schwager nannte das Geschäft die »Konnealhandlung«. In braunen Tüten war Glaubersalz, das die Pferde ins Futter gemengt bekamen, wenn sie an Verstopfung litten. In der Ecke lehnten scharf geschliffene Torfspaten. Zaumzeug hing von der Decke. Neben dem Blechfass mit Petroleum waren Fässer mit Sauerkohl und mit Bismarckheringen gestapelt. Struchen Mariechen verkaufte Lampendochte, Waschpulver, Einheitsseife, Backpulver und Romadur und Stolper Jungchen. Jede Ware roch eigentümlich, und das ganze produzierte eine eigentümliche Duftmischung. Auch Struchen Mariechen, man merkte es, wenn man ihr nahe kam, roch wie ihr Laden. Mariechens Leidenschaft waren die Katzenzungen aus süßer Schokolade, und Kognakkirschen. Wenn sie ein Viertel gemischtes Konfekt einwog, sparte sie die Kognakkirschen möglichst aus. Eines Tages kaufte ein kleines Mädchen von nebenan bei ihr Konfekt. Als es sah, wie Struchen Mariechen ein paar Kognakkirschen wieder heraussammelte, die aus Versehen in die Tüte gekommen waren, sagte das Mädchen: »Ach, bitte nicht die Kognakkirschen. Die esse ich so gerne.« Da gab sich sogar Struchen Mariechen geschlagen.
    Wir aber kauften nur Schnupftabak und Glaubersalz.
    Der Betreuungslehrer, Assessor Gockel, reiste mit der roten Kleinbahn von der Kreisstadt her an. Er wollte Latein und Geschichte geben. Paule Kleist hatte für ihn einen separaten Raum in der Herberge ausgeräumt, wo Gockel. die untere Etage eines doppelstöckigen eisernen Feldbettes bezog. Das kleine bebrillte Männchen hatte bald heraus, dass wir von Cäsars gallischem Krieg zu Themen herabgestiegen waren, die er als Altsprachler bei der künftigen geistigen Elite der Nation nicht vermutet hätte. Er machte deshalb Versuche, uns Stunden zu geben, sprach sogar mit den Bauern, die uns die dafür notwendige Zeit einräumen sollten.
    »Wat, Latein?«, sagten die aber. »Und wer macht die Rüben raus?«
    Deshalb befahl uns Assessor Gockel in den Abendstunden, ihm vorzuübersetzen, wie Cäsar ein mit Wall und Graben umgebenes festes Lager bezog, bevor er sich erneut auf seinen gallischen Widersacher Vercingetorix stürzte. Aber wir schliefen dabei ein, und Wulle bekam, wie er sagte, Verstopfung. Da packte Assessor Gockel sein Lateinbuchin den Koffer, der auf dem oberen Bettrand stand, und ließ sich von Werner Pethmann einen Haselnussstecken schnitzen. Damit marschierte er über die Felder, um möglichst viel über das Wesen der kaschubischen Landschaft zu erfahren.
    Wir waren beim Garben aufstaken, als Assessor Gockel auch zu uns kam. Er lehnte sich auf seinen Haselnussstock und sagte: »Ach, Sie ernten wohl gerade Korn?«
    Struchen Johann, der oben auf der Fuhre stand, war so erstaunt über diesen Ausspruch, dass ihm die brennende Pfeife aus dem Mund fiel, mitten zwischen die schon aufgeladenen Garben. Er rettete sie, schaute von oben auf den Assessor, dessen Brillengläser ihn anblinkten, und sagte: »Jau!«
    Mehr als nee oder jau sagten die Leute hier selten. Das war aber Gockel zu wenig. Deshalb fragte er weiter: »Und dann fahren Sie wohl das in die Scheune?«
    Struchen Johann zwinkerte mit den Augen und sagte wieder: »Jau!«
    »Ach und dann dreschen Sie es im Winter?«
    »Jau!«
    »Und das Korn wird gemahlen? Zu Mehl?«
    »Jau!«
    »Na ja«, sagte Assessor Gockel. »Das habe ich mir gleich gedacht.« Und damit sprang er über die Stoppeln davon. Struchen Johann schaute ihm nach. Er schüttelte den Kopf. »Und dee kann Lateinisch snacken«, sagte er.
    Othmar passte unser Leben auf dem Land überhaupt nicht, und er war oft deprimiert. Er beschloss, krank zu werden. Auf dem Tauschwege besorgte er sich ein Stück Friedensseife und aß es auf. Ihm wurde sehr schlecht. Die ganze Nacht hindurch wachte Assessor Gockel an seinem Bett im Krankenzimmer der Herberge und stellte hohesFieber fest. Am Morgen aber war Othmar wieder gesund. Und weil es so viel essbare Seife nicht gab, konnte er auch keinen neuen Versuch machen. Er blieb noch ein paar Tage im Bett. Dann tauchte er wieder bei Struchen Johann auf, schulterte die Hacke und zog hinter Schwager und mir in die Rüben. »Warst wohl krank?«, sagte Schwager. »Du musst Tabak schnupfen. Das tötet alle Keime.«
    Hinten übers Feld sprang Assessor Gockel heran. Er wollte aber nur wissen, ob es Othmar

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