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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Kartoffeln aufzuklauben.
    Acht Frauen krochen nebeneinander übers Feld, dieReihen entlang auf Knien. Unter ihren Röcken kamen die herausgegrabenen weißfleischigen Robusta hervor. Wir klaubten sie in Körbe. Schwager leerte die Körbe in Säcke. Struchen Johann kam mit dem Fuhrwerk und lud die Säcke auf. Im nächsten Jahr würde Marke Robusta anderen Schülern oder Studenten durch ihre Keimfreudigkeit Sorgen bereiten.
    Es war schon weit im November, die deutsche Sechste Armee begann sich in Stalingrad festzubeißen, als Paul Gerhard Kleist die Tür der Jugendherberge zuschloss und den Schlüssel beim Herbergsvater abgab. Der Abschied von den Bauern war nicht sehr herzlich. Wir marschierten zum Bahnhof und fuhren zurück in die große Stadt. Zwei Tage später waren wir zu Hause. »Meinjeh, ist der Lümmel jewachsen«, sagte Großmutter.
    Ede bewachte immer noch sein aufgeschnittenes Haflingermodell in dem nie benutzten Pferdelazarett. Es gab jetzt jede Nacht Fliegeralarm. Großmutter, die zunehmend schwerhörig wurde, vernahm kaum den Lärm der Abschüsse der nahen Flakbatterie. Nur, wenn in der Nähe eine Luftmine mit lautem Krach explodierte, sagte sie: »Ich glaube, unsere Flak schießt wieder.« Meine Mutter sagte: »Hoffentlich bleibt das Eingemachte heil.«
    Die Bismarckschule war leer, kein Unterricht fand mehr statt. Unsere Klasse wurde zur Luftschutzwache eingeteilt. Zu dritt hausten wir abwechselnd auf Pritschen in einem dunklen Klassenzimmer. Nachts bei Alarm, wenn wir in den Angriffspausen durch die Räume gingen, sah die Bismarckschule ganz anders aus als früher, an den Vormittagen, wenn Hunderte von Schülern Klassenzimmer und Flure füllten.
    In dem nun nicht mehr benutzten Raum, in dem unsere Feldbetten standen, starrten uns drei Reihen schwarzer Pulte an. Vor Kurzem waren die Schülerschnitzereien in den Tischplatten mit Kitt ausgefüllt und die Flächen neu lackiert worden. Nur wenig Zeit hatten die Schüler dieser Klasse, 6 b, noch gehabt, um an den noch weichen Kittstellen den Lack hereinzudrücken. Er bildete erst Dellen, dann brach er. Für neue Schnitzereien, Initialen, Herzen, Schachbretter, geometrische Figuren und obszöne Darstellungen war der Lack noch zu abschreckend neu gewesen.
    In den Schulkorridoren hallten unsere Schritte bei den nächtlichen Kontrollgängen. Endlos lief an den Wänden die Galerie der leeren Kleiderhaken. Im ersten Stock lag die Aula. Sie war jetzt ungeheizt. Kalte abgestandene Luft schlug uns entgegen, wenn wir einen Flügel der schweren kassettierten Tür öffneten. Der Schein unserer Taschenlampen lief über die nur gemalten klassizistischen Stukkaturen an Wänden und Decke, über die Gemälde früherer Direktoren und natürlich über das Porträt Bismarcks. Auf dem Podest verstaubte der Flügel, der aus dem benachbarten Musikzimmer durch die Bühnenöffnung hier herübergerollt worden war, flankiert von zwei Lorbeerbäumen, die schon dort gestanden hatten, als man Großmutter in diesem Saal das Mutterkreuz in Bronze überreicht hatte. Den Orden, mit dem sie doch so wenig anzufangen wusste, und der nur zwischen anderem Gerümpel bei uns zu Hause Grünspan ansetzte. Vor der Aula befand sich die Gedenktafel mit den Namen der im Ersten Weltkrieg gefallenen Mitglieder unserer Anstalt, unten begrenzt von einem steinernen Relief eines sterbenden Kriegers, das uns seit je durch seine naturalistische Darstellung Abscheu eingeflößt hatte, denn der Kopf des gestürzten Soldaten, von einem verrutschten Stahlhelm bedeckt, war nach hinten abgeknickt, als sei das Genick gebrochen. Der Adamsapfelstach heraus wie eine Speerspitze. Auf den Stufen vor diesem Bild und der Gedenktafel lag ein frischer Kranz. Denn trotz der schweren Zeit hatte auch diesmal die Schulleitung, einer langen Tradition folgend, am Heldengedenktag einen Kranz niedergelegt, vorerst für die damals Gefallenen. Die neuen, aus diesem Krieg, hatten noch keine Berücksichtigung gefunden.
    Am Treppenhaus, neben dem Gang zum Musiksaal, lag die Toilette, Ablageort für Spickzettel und Kabinett für heimliche Raucher, jedoch als Raum prächtig mit rotweißen Schachbrettfliesen und Porzellanschüsseln an den Wänden, deren Höhlungen weiße Antigeruchskügelchen bargen. Sie wurden sonst ständig von Wasser berieselt. Jetzt, in den Alarmnächten, war es totenstill hier. Die Wasserversorgung war abgedreht. Das einzige Geräusch in dem riesigen leeren Gebäude kam aus dem Biologiesaal. Dort versorgte eine

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