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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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wurde, dann eine alte Großmutter, die auch nichts zu sagen hatte und, im Gegensatz zum Schwager, auchnichts tat, sowie eine kugelrunde Ukrainerin, eine sogenannte Fremdarbeiterin, die kein Wort deutsch konnte und sehr freundlich war.
    Einen Tag später entdeckten wir, dass auch noch ein vollgefressener Säugling vorhanden war, der sich hauptsächlich damit beschäftigte, in Brei verrührt jene Butterrationen aufzuessen, die uns zugeteilt waren. Er wurde von der Bäuerin »unser kleiner Kronensohn« genannt, eine Bezeichnung, über die wir uns zuerst wunderten, bis Othmar herausfand, dass es sich um »bürgerlich Kronprinz« handeln musste.
    Nachdem wir abgefüttert waren, wankten Othmar und ich zur Jugendherberge zurück, wo sich inzwischen fast alle wieder eingefunden hatten. Vor der Tür stand geschniegelt und in Schaftstiefeln Lagermannschaftsführer Paul Gerhard Kleist und wollte uns zum Fahnenappell antreten lassen. Aber Werner Pethmann, Rabumm, sagte: »Mein Lieber, ab heute scheißen wir dir was!«
    Damit war Paul Gerhard Kleist nicht einverstanden. Doch was blieb ihm übrig? Die nächste Parteibehörde lag Stunden entfernt, und außerdem durfte das Einbringen der Ernte nicht gefährdet werden. Wie fähig wir für diese Aufgabe waren, hatte jeder Einzelne bei seinem Bauern beweisen dürfen. Aber das hatte Paul Gerhard Kleist nicht gesehen.
    Am nächsten Morgen, als Othmar und ich zu Struchen Johann kamen, sahen wir, dass in der Küche, im Fußboden, eine Klappe offen stand. Aber wir dachten uns noch nichts dabei und aßen unsere Brote mit ungesüßter Heidelbeermarmelade. Sie war ungesüßt, weil Kronensohn auch den Zucker fraß, um schnell zu wachsen. Dann bedeutete uns die Bäuerin, dass wir uns in das dunkle Loch zu begeben hätten, das unter der geöffneten Klappe klaffte. Esstellte sich heraus, dass sich dort ein Kartoffelkeller befand, gefüllt mit teils noch genießbaren, teils arg verfaulten Vorjahrskartoffeln. Die genießbaren waren mit mehrere Zentimeter langen Keimen versehen. Unsere Aufgabe war es, diese Kartoffeln von den Keimen zu befreien.
    Wir hockten uns in dem fast lichtlosen Keller auf die Knie und begannen mit unserer Arbeit. Othmar erfand wilde Beschwörungsformeln gegen den Erfinder der Kartoffel. Er sah uns die nächsten acht Wochen in diesem Keller. Unsere Eltern würden erstaunt sein über die Blässe, die wir vom Land heimbrachten.
    Wir arbeiteten aber zu langsam. Nach drei Tagen wurden wir aus der Kasematte befreit und durften mit dem Schwager ins Heu. Da mussten wir weit laufen, in Richtung Meer, und wir waren ganz allein mit dem Schwager, ohne Struchen Johann, und ohne die lächelnde Bäuerin, Mutter von Kronensohn, dem Vielfraß.
    Mit dem Schwager ging es gemächlich. Er hielt beim Mähen alle paar Meter an und schnupfte aus einer silbernen Dose Tabak. Dazu häufte er ein Kegelchen des hellbraunen Pulvers auf die nach oben gedrehte Handkante, zwischen Daumen- und Zeigefingerwurzel, führte dieses Häufchen vorsichtig zur Nase und sog es erst in das eine Nasenloch, dann in das andere. Danach gab es einen befreienden Nieser, oder sogar mehrere, und dann steckte der Schwager die silberne Dose wieder in die Westentasche und mähte weiter. Wir arbeiteten mit dem Rechen hinter ihm her.
    Nach einer Weile sah Schwager auf seine Taschenuhr, warf die Sense hin und sagte: »Nu is Pause.« Wir fielen in frisch gemähte Heuhaufen und schliefen eine halbe Stunde oder manchmal auch eine Stunde.
    Allmählich erfuhren wir von Schwager, wo die Butterblieb, und noch einiges andere. »De Bur is nich schlecht«, meinte Schwager, wenn er von Struchen Johann sprach. »Aber de Ollsch. Die sitzt mit dem Moas up de Butter!« Das nahmen wir nicht wörtlich, aber im Grunde hatte Schwager recht: Sie saß auf der Butter, auf dem Zucker, auf der Wurst und auf dem Schinken. Nach meinen so gegenteiligen Erfahrungen bei Onkel Willi im Jahr davor konnte ich es nicht begreifen.
    Ungesüßte Heidelbeermarmelade macht einen sauren Magen. Aber sauer macht nicht immer lustig.
    Schön war es abends in der Jugendherberge. Wir konnten miteinander reden und waren nicht mehr den Bauern ausgeliefert. Den andern erging es ähnlich wie Othmar und mir. Es schien zum Beispiel im Ort überraschend große Vorräte an Vorjahrskartoffeln zu geben.
    Paul Gerhard Kleist baute sich manchmal vor uns auf und befahl: »Achtung! Schrankappell!« Aber wir waren zu müde, um es ihm auch nur übel zu nehmen. Werner Pethmann rülpste und

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