Mucksmäuschentot
gewisser Weise machte ich ihn sogar dafür verantwortlich), so dass der Gedanke, ihn aus dem Sideboard zu holen, beinahe so abstoßend war wie die Vorstellung, die Leiche des Einbrechers auszugraben.
Doch als die Wochen vergingen, überwand ich allmählich meinen Abscheu. Mich erregte wieder die Vorstellung, Aufsätze auf ihm zu schreiben und ohne die quälenden Verzögerungen und unerklärlichen Abstürze, die ich mit der Bestie erduldet hatte, ins Internet zu gehen. Ich war davon überzeugt, dass mir der Laptop dabei helfen würde, wieder richtig für die Schule zu arbeiten. Und meine schriftstellerischen Ambitionen, die ich so eng mit dem Computer verknüpft hatte, erwachten zu neuem Leben. Ich ertappte mich bei einem Gedanken, so eiskalt und egoistisch, dass ich selbst entsetzt war:
Nachdem ich das alles durchlebt hatte, würde ich doch sicher etwas wahrhaft Großes schreiben können. Wie viele Schriftsteller wussten schon, was es bedeutete, einen Menschen zu töten?
Also holte ich den Laptop schließlich aus dem Sideboard, in dem er seit meinem Geburtstag gestanden hatte, und stellte ihn auf den Esstisch. Zuerst fürchtete ich, er könnte kaputt sein, immerhin war er auf den Boden gefallen, als ich Paul Hannigan das Messer zwischen die Schulterblätter gestoßen hatte. Aber nein, beim ersten Knopfdruck erwachte er summend zum elektronischen Leben.
Wie ich gehofft hatte, verschaffte mir der Laptop neuen Antrieb bei den Prüfungsvorbereitungen. Bald schrieb ich gar nicht mehr von Hand und konnte tatsächlich schneller tippen, als etwas in meiner verschnörkelten Mädchenschrift notieren. Als Mums Drucker den Geist aufgab, nahm Roger jeden Abend meinen USB -Stick mit nach Hause und druckte mir alles aus. Er weigerte sich, Geld für Papier oder Tinte anzunehmen, und ich war ihm ungeheuer dankbar. Mehr noch, ich empfand eine gewisse
Wärme
für ihn, und es beruhigte mich, dass die Erlebnisse mit den JETS meine Fähigkeit, Freundschaften zu schließen, anscheinend nicht beeinträchtigt hatten.
33
Auf den ersten Blick erholte sich auch Mum ganz ausgezeichnet. Ihr Auge heilte schnell, und sie war froh, als sie vor der Arbeit kein Make-up mehr auflegen musste, um den Bluterguss zu verdecken.
In der Kanzlei tat sie, als wäre nichts geschehen; sie bearbeitete mehrere kleine Fälle und gewann sogar einen, der unerwartet vor Gericht gegangen war. Über diesen Sieg freute sie sich ganz besonders, da die Umstände des Unfalls – ein Sturz auf einer Restauranttreppe – schwer zu beweisen gewesen waren. Vor allem aber genoss sie es, dass der unterlegene Beklagte, das
Love Shack Rib
House, von ihrem ehemaligen Arbeitgeber Everson’s vertreten wurde. Es war fast wie ein Sieg über Dad, und sie war vollkommen aus dem Häuschen deswegen.
Dennoch merkte ich, dass ein Teil ihrer guten Stimmung nur Fassade war.
Die Schlaftabletten, die mir geholfen hatten, zeigten bei Mum kaum Wirkung. Obwohl sie nach wie vor gegen elf ins Bett ging, konnte sie selten einschlafen. Sie warf sich stundenlang verzweifelt herum. Wenn sie es nicht mehr ertragen konnte, ging sie nach unten. Wenn ich nachts zur Toilette musste, hörte ich oft den leisen Ton des Fernsehers, mit dem sie sich die langen, schlaflosen Stunden vertrieb. Für jemanden wie Mum war Schlaflosigkeit das Schlimmste überhaupt, weil dieses Problem nicht mit dem Verstand gelöst werden konnte. Je mehr man sich bemühte, desto weniger gelang es einem. Sie versuchte, den Schlaf herbeizudenken, statt nicht über ihn nachzudenken. Und wurde von der Schlaflosigkeit besiegt.
Gegen drei ging sie wieder ins Bett und schlief in der Morgendämmerung endlich ein. Wenn eine Stunde später der Wecker klingelte, war sie noch erschöpfter, als wenn sie gar nicht geschlafen hätte. Sie saß mit verquollenen Augen, blassem Gesicht und gerunzelter Stirn beim Frühstück – die Falten auf der Stirn verschwanden selbst dann nicht, wenn sie lächelte. Wenn ich fragte, ob sie wieder schlecht geschlafen habe, zuckte sie nur mit den Achseln. »Es geht vorbei«, sagte sie dann, »es geht vorbei.« Oder sie zitierte Dorothy Parker: »Wie schläft man eigentlich? Ich hab den Bogen einfach nicht raus.« Doch sie wollte nicht darüber sprechen, und wenn ich weiterfragte, wurde sie reizbar und schnippisch.
Mum trank jetzt jeden Abend. Oft schenkte sie sich, wenn sie von der Arbeit kam, als Erstes ein Glas Wein ein – ohne vorher Jacke oder Schuhe auszuziehen. Ich glaube nicht, dass sie das Trinken
Weitere Kostenlose Bücher