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Mucksmäuschentot

Mucksmäuschentot

Titel: Mucksmäuschentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon Reece
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genoss. Sie trank vor allem, um sich zu betäuben. Der Wein vertrieb die Dämonen oder half wenigstens, sie unter Kontrolle zu halten. Schließlich war sie diejenige, die Paul Hannigan mit dem Marmorbrett getötet hatte; sie war diejenige, die seine Leiche ausgegraben und seine blutgetränkten Taschen durchsucht hatte. Später trank sie wohl, weil sie sich nach einem ruhigen Nachtschlaf sehnte, den ihr dieser falsche Freund natürlich nie verschaffte.
    Während ich sehr bald wieder mit dem Flötenspiel begonnen hatte, weigerte sich Mum, das Klavier auch nur anzurühren. Wenn ich sie bat, ein Duett mit mir zu spielen, fand sie immer eine Ausrede – sie sei zu müde oder müsse noch arbeiten. Dabei wusste ich nur zu gut, was der eigentliche Grund war. Sie mied das Klavier aus dem gleichen Grund, aus dem ich das ovale Rosenbeet mied.
(War die
Zigeunerhochzeit
noch in ihrem Kopf erklungen, als Paul Hannigan uns die Treppe hinuntergescheucht hatte?)
    Sicherheit kam nun an erster Stelle und wurde zur Besessenheit. Sie brachte regelmäßig neue Schlösser aus dem Eisenwarenladen mit. Sie montierte zwei schwere Ketten an Haus- und Hintertür und robuste Schlösser an unseren Schlafzimmertüren. Sie kaufte eine Alarmanlagen-Attrappe (laut Verpackung würden Einbrecher den Unterschied nicht erkennen), weil eine richtige unerschwinglich für uns war, und befestigte sie gut sichtbar an der Vorderseite des Hauses. Sie besorgte ausgeklügelte Schlösser für die Fenster, weil sie vermutete, dass Paul Hannigan durchs Toilettenfenster eingestiegen war.
    Ich beobachtete sie, wie sie mit dem Schraubenzieher durchs Haus lief und vor der Haustür auf die Leiter stieg, und hätte meine Gedanken am liebsten laut ausgesprochen:
Das Schloss, das unsere Ängste aussperren kann, wurde noch nicht erfunden.
    Die größten Sorgen machte mir jedoch ihre veränderte Beziehung zu Graham Blakely. Wenn sie jetzt über ihre Zusammenstöße mit ihm sprach, schien sie nicht mehr das Opfer zu sein, sondern eine ernstzunehmende, kampfbereite Gegnerin. Sie gab nicht mehr ohne weiteres nach, wenn er die Geduld verlor, und teilte bei ihren Auseinandersetzungen ordentlich aus – sehr zum Erstaunen von Brenda und Sally. Das alleine hätte mich nicht beunruhigt. Ich war es ohnehin leid, mir anzuhören, wie dieser Büro-Diktator sie ständig einschüchterte. Aber sie behauptete sich nicht nur. Seit dem ersten Streit mit ihm an meinem Geburtstag schien Mum die Zusammenstöße mit Blakely förmlich zu
genießen
. Manchmal forderte sie ihn geradezu heraus. Sie erzählte mir mit atemloser Begeisterung beim Abendessen, wie sie die Oberhand behalten hatte, wobei sie wild gestikulierte und ihr Glas umzuwerfen drohte.
    Eines Abends, als wir uns wieder einmal von den Höhen und Tiefen des Tages berichteten, verkündete Mum kichernd, sie habe
Blakely ins Gesicht geschlagen.
    »Du hast
was
?«, fragte ich ungläubig.
    »Ich habe Blakely ins Gesicht geschlagen!«, wiederholte sie mit einem selbstzufriedenen Grinsen wie ein Kind, das stolz auf einen bösen Streich ist.
    »Was – was war denn los?«
    »Nun, er kam in mein Büro, als ich allein war, und fing an, über die Urlaubstermine im August zu reden«, erklärte sie sachlich, als wäre es nur harmloser Büroklatsch. »Während wir redeten, trat er hinter meinen Stuhl, und ich dachte, er wolle meine Brust berühren. Ich habe gar nicht weiter überlegt. Ich habe ihm einfach eine Ohrfeige verpasst!«
    »
Mum!
Hat es jemand gesehen?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Was hat er dann gemacht?«
    »Nichts! Gar nichts. Er ist einfach rausgegangen und hat sich die Wange gehalten. Du hättest sein Gesicht sehen sollen!«
    Ich war sprachlos. Die Erinnerung erregte sie offenbar. Sie konnte gar nicht aufhören, darüber zu reden, und brach jedes Mal in Gelächter aus, wenn sie sich an seinen Gesichtsausdruck erinnerte.
    »Er hat kein Wort gesagt!«, rief sie. »Er konnte es nicht fassen! Er stand total unter Schock! Damit hatte er wohl nicht gerechnet!«
    Ich lachte, so gut ich konnte, mit ihr, empfand den Vorfall aber als zutiefst verstörend. Danach war ich mehrere Tage verunsichert. Mum war immer der ruhende Pol gewesen, und ich wollte, dass es so blieb. Ihre neue Verwegenheit machte mir Angst. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihr auf das unbekannte Terrain folgen wollte, das sie nun erforschte. Ich befürchtete, sie könnte in dieser Stimmung etwas zu Sally und Brenda sagen, das uns verriet. Nach allem, was geschehen war,

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