Mueller hoch Drei
bestimmt die Wahrheit! Plötzlich hörte ich tatsächlich die Stimme des Blutes. Und ich fand sie sympathisch. Ich erschrak darüber sehr und ließ mindestens 45 Federn fallen.
»Wenn deine, also meine Eltern weg sind, weiß ich nicht mehr, was ich tun soll«, sagte Paula.
»Wie viel Geld hast du noch?«
»Knapp zwölf Euro. Was fragst du? Soll das etwa heißen, ich robbe hier als hilflose Waise neben meinem Bruder auf den Knien, und der hat keine andere Idee, als mich anzupumpen?«
Das war ziemlich frech. Aber immer noch besser frech als rosa.
Meine Ex-Eltern
U nd warum hatte ich nach Geld gefragt? Nun, von meinen Eltern habe ich gelernt, dass man in schwierigen Lebenslagen als Erstes fragt, wie viel Kohle noch in Greifweite ist. Das klingt unromantisch, doch wenn man meine Eltern kennt, versteht man, warum sie so denken. Noch vor vierzehn Jahren waren sie offenbar so arm, dass sie allenfalls mich ernähren konnten, nicht aber meine zwei Geschwister. Von dieser Armut reden sie auch heute noch manchmal, wenngleich nicht von meinen Geschwistern. Seit geraumer Zeit allerdings verdienen sie unabhängig voneinander eine Menge Geld.
Meine Ex-Mutter unterhält ein Geschäft, in dem es definitiv nur Sachen gibt, die absolut keiner brauchen kann und die so grauenhaft aussehen, dass man bei ihrem Anblick regelrecht erschrickt. Zum Beispiel: abschüssige Teller mit unappetitlichen Malereien drauf, von denen man nicht essen, und unanatomisch geformte Tassen, aus denen man zwar trinken kann, aber nur wenn man Freude daran hat, sich übel zu bekleckern. Oder Kerzenleuchter, die statt der Kerzen sich selbst verbrennen. Oder Serviettenhalter, die nichts und niemanden halten, dafür aber fehlerfrei die Nationalhymne von Transsilvanien spielen. Oder Tassen mit Namen drauf, die allesamt falsch geschrieben sind. Hartmut mit zwei d oder Susanne vorne mit ß.
Trotzdem ist der Laden von morgens bis abends gesteckt voll, und die Leute kaufen Mamas Sachen in rauen Mengen. Über die Gründe für dieses rätselhafte Verhalten habe ich mehrere Theorien entwickelt. Eine davon besagt, dass die Leute Mamas Krempel kaufen, um ihn dann irgendwo klammheimlich einzustampfen, zu verbrennen, zu sprengen oder sonst wie zu pulverisieren. Gewissermaßen als eine Art ästhetischer Umweltschutz.
Eine andere Theorie geht davon aus, dass die Leute solche Sachen kaufen, um ihre Lieblingsfeinde zu ärgern. Man schenkt zum Beispiel jemandem, den man auf den Tod nicht ausstehen kann, eine Kaffeekanne in Form des ausgebrannten Atomkraftwerks von Tschernobyl, und dann besucht man diese Leute permanent, damit sie jedes Mal dieses Monstrum auf den Tisch wuchten müssen. Dabei sehen sie allmählich immer schlechter aus, wie moralisch verstrahlt. Am Schluss packen sie ihre Sachen, geben ihre bürgerliche Existenz auf und werden Schuhputzer in der Wüste.
Meine Lieblingstheorie aber ist, dass die Leute irgendwie Mitleid mit den Sachen haben. So wie man zum Beispiel Mitleid mit den struppigen Hunden im Tierheim hat. Sie holen sich deshalb für viel Geld diese traurigen Sachen ins Haus und trösten sie darüber hinweg, dass sie grauenhaft aussehen und zu nichts zu gebrauchen sind. Schon morgens zum Frühstück stellen sie zum Beispiel eine Glucke aus schmutzig braunem Bakelit auf den Tisch und lügen ihr vor, dass sie ganz prima als Eierwärmer funktioniert. Die Glucke zerquetscht derweil die Eier und kühlt sie auf minus zwei Grad, freut sich aber einen Ast. Jedenfalls glauben das die Leute und denken dann, sie hätten ein gutes Werk getan. Tatsächlich aber profitiert einzig und allein meine Mutter.
Mein gewesener Vater verdient auf eine noch viel lässigere Art und Weise sein Geld. Wenn man ihn fragt, sagt er, er sei Drehbuchautor für Fernsehserien. Allerdings stimmt das nicht so ganz. Mein Vater verfasst nämlich keine Drehbücher, in denen genau aufgeschrieben ist, was die Schauspieler sagen und wie sie sich bewegen sollen. Das machen andere. Er hingegen lässt sich die Serien im Ganzen einfallen. Er schreibt dann sogenannte Exposés, was so viel wie Entwürfe oder Pläne heißt. Lange Zeit hat er nicht einmal einen Computer besessen; seine Exposés hat er auf die Rückseite von Einkaufszetteln oder an den Rand von Bierdeckeln gekritzelt.
Meistens geht er so vor: Er denkt sich ein paar Hauptfiguren aus, die nicht besonders gut miteinander auskommen, obwohl sie dummerweise Verwandte oder Nachbarn sind oder in einer Wohngemeinschaft zusammenleben.
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