Mueller hoch Drei
klingelten wieder die Glöckchen, und zwischen zwei Kissenschlägen konnte ich sehen, dass in der Tür des Gedächtniscafés zwei japanische Touristen standen, offenbar Freunde des Tanzes und der Malerei, die den weiten Weg nach Neustadt nicht gescheut hatten. Doch sie kamen nicht allein. Zwischen ihren Beinen flitzte Piet Montag herein. Beinahe ohne den Boden zu berühren durchquerte er das Café, und als er uns bei einer Kissenschlacht sah, begeisterte ihn das so sehr, dass er sofort mitmachen musste. Vielleicht schöpfte er Hoffnung, dass ich doch ein dufter Kumpel werden könnte.
Er schnappte sich das dritte Kissen. Kissenschlacht bedeutet für ihn allerdings, das Kissen zu schlachten. Hei, wie da zuerst die Fetzen und dann die Federn flogen. Das dritte Kissen war im Nu totgebissen und halb ausgeweidet, worauf der schreckliche Hund sich auf mein Lieblingssweatshirt stürzte, vermutlich in der Absicht, daraus ein modisches T-Shirt zu machen. Ich schüttelte ihn ab und rettete mein Sweatshirt und mich auf die Theke. Da wollte der Hund sich Paula packen, die saß aber bereits mit angezogenen Beinen auf einem Tisch und lachte fröhlich und quietschend.
Blieb ihm also bloß noch Tante Elke, um ein bisschen Spaß zu haben. Doch Tante Elke war ja allergisch oder aversorisch gegen alles Mögliche und also auch gegen Hunde! Das konnte sie auch noch sehr laut sagen, doch fliehen konnte sie nicht, weil sie einen schrecklichen Niesanfall bekam. Auch die japanischen Touristen flohen nicht, sie blätterten nur aufgeregt in ihren Reiseführern. Wahrscheinlich dachten sie, das hier sei eine künstlerische Darbietung, und jetzt wollten sie sich darüber informieren, ob und wenn ja welchen Sinn sie hatte.
Die nächsten zwei Minuten vergingen mit Knurren, Beißen, Lachen und sehr viel Niesen, alles etwas ungerecht verteilt auf Piet Montag, Paula und Tante Elke. Endlich gelang es mir, einen halben Kissenbezug über den Hund zu stülpen und ihn darin zurück auf die Straße zu tragen. Die Leine fand ich nicht mehr, die hatte er wohl gefressen. Also hängte ich ihn in seinem Sack an den Lenker eines geparkten Rollers. Was ich dabei insgeheim hoffte, bleibt mein Geheimnis.
Drinnen im Gedächtniscafé fand ich Tante Elke beim intensiven Heilatmen, wobei die zwei Japaner sie in einem fort fotografierten. Sprechen konnte die Arme nicht, und so begann ich unaufgefordert, Tausende kleiner Federn aufzusammeln. Noch immer vor sich hin lachend half mir Paula dabei, und so kamen wir uns, während wir über den Boden krochen, etwas näher, meine neue Schwester und ich. Das heißt, wir redeten einfach so miteinander, wie fast Vierzehnjährige miteinander reden, über dies und das. Paula hatte ihr Zartpiepsen oder Hauchflöten eingestellt und sprach jetzt nur noch mit leichtem berlinerischen Akzent.
»Deine Mama«, sagte ich endlich, so beiläufig wie möglich, »also deine Adoptivmutter, kann die dir denn nicht helfen?« Wir waren gerade bei Feder Nummer 2198.
»Ach, Mama! Die fällt aus. Die ist komplett durch den Wind. Das indische Experiment funktioniert einfach nicht. Sie hat sich ein paar Tage frei genommen und ist zu ihrer Freundin Gerlinde nach Ibiza gedüst. Die betreibt da ein esoterisches Strandcafé. Oder so was Ähnliches.«
»Und sie lässt dich allein, während du nach Indien verheiratet werden sollst?« Seit gestern war ich selbst ein Fachmann im Verlassenwerden, aber das hier konnte ich mir einfach nicht vorstellen.
»Na ja.« Mir schien, als huschten kleine dunkle Wolken über Paulas Wangen. »Mama weiß nichts von Guppys Heiratsplänen. Ich hab’s auch nur per Zufall rausgekriegt und wollte sie nicht beunruhigen. Ich sag dir, wenn ältere Leute Beziehungsstress haben, muss man vorsichtig mit ihnen umgehen, sonst kippen sie seelisch aus den Latschen.«
Ich sagte: »Aha.« Mehr nicht. Dann hob ich weitere 289 Federn auf und fragte anschließend: »Woher weißt du eigentlich, wo ich wohne? Und wie bist du hierhergekommen?«
Die Wolken in Paulas Gesicht zogen sich zu einer Gewitterfront zusammen. »Lange Geschichte«, murmelte sie. Und dann sagte sie etwas, in dem zwar eindeutig die Worte »Detektiv« und »Mitfahrgelegenheit« vorkamen, das aber im Großen und Ganzen nur das eine bedeutete, nämlich: »Frag mich nicht!«
Also hoben wir weiter Federn auf, jetzt allerdings schweigend.
»Ich stecke tief in der Patsche«, sagte Paula endlich. Und was auch immer sie bislang gesagt hatte, das hier – das war
Weitere Kostenlose Bücher