Mueller hoch Drei
Manche von ihnen sind auch unglücklich verliebt, und zwar immer in den oder die Falsche. Diesen Hauptfiguren legt er dann irgendein Problem ins Nest, worauf ihnen ihr sowieso schon nicht besonders heiles Leben stilvoll um die Ohren fliegt. Die eigentliche Fernsehserie besteht dann darin, dass die Haupt- zusammen mit ein paar Nebenfiguren zwölf Folgen lang versuchen, es nicht zu Landfriedensbruch, Vandalismus und Massenmord kommen zu lassen. Und ob man es glaubt oder nicht: Genau das wollen die Leute sehen. Die Serien meines Vaters brechen alle Einschaltquotenrekorde.
Seine letzte Erfolgsserie hieß »Ich heirate einen Angler«. Die Story lief so: Eine Tierschutzaktivistin hat aus Gründen, die vollkommen im Dunkeln bleiben, einen steinreichen Nichtstuer und Weltmeister im Andere-Leute-Langweilen geheiratet, dessen Herz weniger an seiner Frau und mehr am Fischefangen hängt. Früher hat dieser Mann die meiste Zeit irgendwo bis zum Bauch im Wasser gestanden und mit der Angel gewedelt. Doch jetzt praktiziert er seinen Fisch-Tick im eigenen Haus. Er hat Aquarien und Becken angelegt, damit er zum Fischen gar nicht mehr hinaus in die Natur muss. Die Tierschutzaktivistin kriegt derweil Nervenzusammenbrüche in Serie, besonders wenn sie Aale in ihrem Bett findet. Sie ruft ihre Eltern zu Hilfe, die aber auch nichts ausrichten können. Im Gegenteil: Am Ende von Folge zwei sitzen Schwiegervater und Schwiegersohn zusammen im Badezimmer und grillen Forellen in der Dusche.
Von dieser Serie habe ich übrigens ausnahmsweise nur die ersten beiden Folgen gesehen. Ich kann daher nicht sagen, wie es ausging. Es war mir diesmal ein bisschen peinlich, weil so viel von Liebe die Rede war. Ansonsten sehe ich gerne, was mein Vater erfindet. Und gerne sehe ich ihm auch beim Arbeiten zu. Er sitzt dann nämlich ganz locker in einem Straßencafé mitten auf dem Neustädter Markt und guckt sich die Leute an. Dabei denkt er sich aus, was ihnen so alles passieren könnte. Das heißt natürlich: in welche peinlichen und spektakulären Katastrophen sie geraten könnten. Alle paar Monate meldet sich mein Vater dann bei den Fernsehleuten und verkauft ihnen seine Serien im Sechserpack. Ich weiß ja nicht, was einmal aus mir werden wird, aber ich fürchte, auf so entspannte Art und Weise werde ich mein Geld nicht verdienen.
All das erzählte ich Paula, nachdem sie beim Stichwort »Geld« eine freche Bemerkung gemacht hatte. Schließlich hatte sie ja ein Recht darauf zu wissen, wie gut es mir bislang gegangen und wie pleite ich jetzt war.
»Schau an«, sagte sie. »Da wäre ich ja fast die Tochter reicher Leute geworden.« Sie dachte einen Moment nach. »Glaubst du, dein Vater hätte mir eine Rolle beim Fernsehen beschaffen können? Du, ich bin nicht unbegabt! Ich kann« – und sie wollte es an den Fingern aufzählen, aber ich unterbrach sie.
»Lass gut sein. Ich habe folgenden Plan: Wir gehen zu mir, also zu uns nach Hause, suchen das Geld, das unsere Eltern versteckt haben, ruhen uns ein bisschen von den Strapazen des heutigen Tages aus und überlegen dann ganz in Ruhe, wie es mit uns weitergehen soll.«
»Oh!«, sagte Paula sehr gedehnt. »Ein Plan!« Sie sprach dieses kleine und eher unattraktive Wort aus, als sei es der Name eines sagenhaften Schatzes, wozu sie ihm eine zweite Silbe verpasste: »Ein Pla-han.« Ich brauchte ein wenig Zeit, um zu begreifen, dass sie sich über mich lustig machte.
Zum Glück kam Tante Elke gerade einigermaßen erholt vom Heilatmen. Ich hatte sie ja mittlerweile als einen Menschen mit Sinn für die Realität kennengelernt. Ich schilderte ihr daher meinen »Pla-han« für die unmittelbare Zukunft, und sie fand ihn gut. Möglicherweise war sie allerdings auch einfach froh, uns und insbesondere den Hund Piet Montag aus dem Haus zu haben. Heilfroh sozusagen.
In der Tür des Gedächtniscafés nahm sie mich einmal in den Arm, dann gab sie mir einen Fünfzigeuroschein und ihre Visitenkarte. »Leider bin ich ab morgen wieder in Sachen Drescher und Mäher unterwegs. Vor Sonntag bin ich nicht zurück. Ruf mich aber sofort an, wenn sich in deiner Familienangelegenheit etwas Neues ergibt. Oder wenn du meine Hilfe brauchst. Wie bist du denn zu erreichen?«
Ich musste eingestehen, dass ich kein Handy besaß, da gab Paula Tante Elke die Nummer von ihrem verkratzten blauen Teil.
Wir verabschiedeten uns mit den besten Wünschen. Als Paula gerade nicht hinsah, sagte mir Tante Elke wieder etwas ohne Stimme. Und diesmal
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