Mueller hoch Drei
keiner die Täuschung merkt. Jetzt können sie, wenn sie wollen, einen Tiger im Straßencafé sitzen und geschmorten Lammrücken mit Messer und Gabel essen lassen, was nicht einmal ich ihm hätte beibringen können.«
»Wurden Sie arbeitslos?«, sagte ich ein wenig gestelzt, während es aus Piet Montags Lefzen wie aus Bergquellen floss, ohne dass er das Fressen vor sich auch nur anschaute.
»Kann man so sagen. Und nach Hause auf den Hof konnte ich auch nicht mehr, aus diversen Gründen. Ich wollte mich hier im alten Berlin verkriechen. Geld hatte ich noch, arbeiten musste ich eigentlich nicht, jedenfalls nicht sofort, und dann bin ich ausgerechnet in diese verdammte Bude hier geraten.«
»Wieso verdammt? Ist doch eine hübsche Wohnung.« Das meinte ich vollkommen ehrlich.
Hochschmidt tippte sich an die Stirn. »Das ist eine spießige Bleibe. Aber darum geht es nicht. Ich habe sie mit allem was drin war übernommen. Der Vormieter war ein bisschen hoppla-hopp ausgezogen. Ich wollte auch gleich alles rausschaffen lassen, vor allem diesen schrottreifen PC . Aber dann ist mir aufgefallen, warum mein Vorgänger so schnell die Kurve kratzen musste.«
Mittlerweile hatte der PC endlich die Startseite aufgebaut. Hochschmidt zeigte darauf, und ich sah sie mir an: Es war die streng geheime Begrüßungsseite des amerikanischen Geheimdienstes.
»Holla«, sagte ich. Mehr nicht.
»Das ist noch gar nichts!« Hochschmidt grinste. »Mein Vormieter war ein vollkommen harmloser Mensch, von Beruf Gärtner. Aber sein Freund war ein Meisterhacker, ein geniales, nur leider etwas finsteres Computergenie. Diesen scheinbar altersschwachen PC hier hat er zur besten Suchmaschine der Welt umgebaut. Mit dem kommt man in alle Melderegister, in alle Banken und Versicherungen, in alle Regierungen, in die NASA und die CIA und sogar in die geheimen Lieferpläne von ALDI .«
»Wow!«
Hochschmidt schüttelte den Kopf. »Von wegen! Als ich es begriffen hatte, war meine erste Idee, diesen Apparat sofort zu vernichten. Aber dann bin ich leider schwach geworden und habe hier alles so gelassen wie es war. Seitdem sitze ich vor lauter Langeweile jede Nacht vor dem Ding und schaue mir alle Geheimnisse der Welt an.«
Er machte eine komisch-traurige Geste. »Und das, obwohl sie mich gar nicht interessieren.«
»Mich würde schon so einiges interessieren.«
»Tatsächlich? Möchtest du zum Beispiel wissen, wo deine Eltern gerade sind?«
»Danke. Das weiß ich schon. Die sind in der Karibik.«
»Schauen wir doch mal.« Hochschmidt tippte mit zwei Fingern ziemlich flott auf der Tastatur. Listen und Tabellen erschienen. »Schau her. Geflogen sind sie. Aber nicht in die Karibik, sondern nach Mallorca. Vorgestern Abend sind sie gelandet. Und jetzt«, er tippte wieder etwas ein, »sind sie im Hotel Hippocampo in Cala Millor. Vier Sterne mit Blick aufs Meer.«
»Sie beschwindeln mich«, sagte ich schwach.
»Keineswegs. Ich habe hier alles. Passagierlisten, Hotelregister, Mietwagenreservierungen. Du kannst mich fragen, was du willst.«
Aha! Ich stand also offenbar nicht im vierten Stock eines Berliner Altbaus, sondern in einer Art Filiale der göttlichen Allwissenheit. Mir wurde ein wenig schwindelig, sicherheitshalber setzte ich mich auf den Boden. Von Piet Montag musste ich allerdings Abstand halten, denn um den hatte sich mittlerweile ein Speichelsee gebildet, in dem er saß wie eine Brunnenfigur im Brunnen. Noch immer floss, ja plätscherte es aus seiner Schnauze, ohne dass er auch nur einen Blick vom großen Hochschmidt wandte.
»Ich will nur die Adresse meiner Schwester«, sagte ich.
»Aber gern.« Hochschmidt tippte wieder in die Tastatur. »Ich habe natürlich die kompletten Daten eurer Adoption einsehen können. Und siehe da! Hier hätten wir deine zweite Schwester. Pauline Elvira Müller, geboren am 22. Juli, adoptiert am 10. August desselben Jahres von Erika und Erich Schönewind, momentan wohnhaft in – Moment, zentrales Melderegister der Bundesrepublik Deutschland – Marseby an der Schlei. Veilchenstraße 28.«
Ich nickte einen Dank.
Hochschmidt tippte wieder etwas ein. »Der Stiefvater ist übrigens Direktor des Tourismusvereins, die Stiefmutter ist Oberstudiendirektorin und leitet das Jens-Uwe-Jensen-Gymnasium in der benachbarten Kreisstadt. Möchtest du vielleicht Fotos von ihnen sehen?«
Bevor ich »Nein!« brüllen konnte, erschienen schon die ersten Bilder. Die Neugier siegte, ich stand auf und sah sie mir an: Herr
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