Mueller hoch Drei
gewöhnt, die mich herumkommandierte, als sei das ihr wichtigster Lebenszweck. Nun werde ich wie die meisten Menschen nicht gerne herumkommandiert, aber ganz ohne Leute, die mir sagen, was ich tun und lassen soll, komme ich mir vor wie einer, der im schwerelosen Raum Servietten falten soll. Deshalb war ich jetzt auch ein wenig schockiert, als ich Paula wie ein Häufchen Elend vor Bolles Grab sitzen sah. Ich trat näher heran, räusperte mich, und da sie eine kleine Geste des Erkennens machte, setzte ich mich neben sie. Der Versuchung, ihr einen Arm um die Schultern zu legen, widerstand ich, nicht zuletzt, weil es mir der Blick der Dompteuse verbot.
Stattdessen sagte ich: »Hallo.«
»Lo«, machte Paula.
»Hast du Heimweh?«, versuchte ich es.
Sie nickte und mit ihrem Kopf ihr ganzer Körper. Piet Montag setzte sich vor sie und legte seine rechte Pfote auf ihren linken Fuß.
»Dann gehen wir doch zu dir.« Ich bemühte mich um einen unbeschwerten Tonfall. »Vielleicht ist ja alles gar nicht so schlimm, wie du denkst. Vielleicht hast du deinen Stiefadoptivvater bloß irgendwie missverstanden.«
»Idiot«, sagte Paula. »Wir können nicht mal hier in der Gegend bleiben. Oder willst du mich in Indien besuchen?« Sie sah mich an. »Blödmänner kann man überall gebrauchen. Vielleicht kannst du meinem Mann helfen, seine Aktien zu stapeln. Oder du wirst Hufputzer für Elefanten.« Dazu machte sie eine unanständige Geste. Piet Montag wandte sich verschämt zur Seite.
Dieser Versuch war gescheitert. »Weißt du denn wenigstens, wo wir übernachten können?«
Paula schüttelte den Kopf.
Sie tat mir ehrlich leid. Sogar ein bisschen mehr, als ich mir momentan selbst leidtat, und das wollte in dieser Situation schon etwas heißen. Ich überlegte, es ihr zu sagen, ließ es aber. »Irgendwo müssen wir unterkriechen«, sagte ich stattdessen. »Unsere Schwester wohnt in einem Nest an der Ostsee, bis dahin schaffen wir es heute nicht mehr. Außerdem sind wir pleite.«
Paula schniefte. Der Hinweis auf unsere finanzielle Lage trieb ihr wohl endgültig die Tränen in die Augen. Tatsächlich besaßen wir ja nur noch ein paar Cent, und selbst wenn der offenbar geläuterte Piet Montag sie nicht fressen würde, reichten die allenfalls für ein stilvolles Verhungern auf einer Parkbank.
»Hast du keine Freundin, die anderswo wohnt? Oder wenigstens eine, die den Mund halten kann?«
»Nein. Die sind allesamt in Urlaub. Momentan kenne ich hier nur dich.«
»Da geht’s mir etwas besser.« Ich sprang auf die Füße. »Ich habe hier eine Schwester und einen Hund.« Paula sah mich verwundert an. »Außerdem hat Berlin noch immer jedem Landei zu Füßen gelegen, wenn es nur hart genug gekocht war.« Das hatte jedenfalls mein Vater gesagt, nachdem er zum ersten Mal eine seiner Serien in Berlin verkauft hatte. Ich gab Piet Montag ein Zeichen. »Stimmt’s, Tiger, oder hab ich recht?« Worauf der Hund sehr unternehmungslustig bellte.
»Wie bitte?« Jetzt schaute Paula immerhin wieder so, wie man als lebenskluge Schwester auf seinen geistig minderbemittelten Bruder und dessen unzurechnungsfähigen Hund schaut.
»Auf, auf!«, rief ich wie ein Musterpfadfinder. »Wir besorgen uns jetzt Geld und eine Bleibe. Und beides in der Luxusklasse.«
»Du spinnst«, sagte Paula. »Du verträgst die Luft in der Großstadt nicht.«
Doch ich nahm sie einfach bei der Hand, und im Schutz der Dämmerung verließen wir unerkannt den Milchmann Bolle in seinem Marmorpalast, den Friedhof zwischen den hohen, alten Häusern und überhaupt die ganze Gegend. Piet Montag schien ein wenig traurig zu sein. Ihm hatte es hier gefallen.
Wir machen Geschäfte
A ls wir am Potsdamer Platz ankamen, war es dunkel geworden. Natürlich nur am Himmel, denn am Boden gab sich die Hauptstadt Berlin alle Mühe, auch noch die letzte Zigarettenkippe zu beleuchten. Der Potsdamer Platz funkelte und blinkte, und die Leute, die an uns vorbeiliefen, sahen alle aus, als seien sie sauer darüber, dass die Nacht mal wieder viel zu kurz sein würde für all das, was sie sich vorgenommen hatten.
Ich hatte dagegen nur einen einzigen Plan, und den hatte ich Paula immer noch nicht verraten, obwohl sie ihn zusammen mit ihrer Lateindompteuse seit mehreren Kilometern aus mir herauszufragen suchte.
»Nein«, hatte ich nur immer wieder gesagt, »dieser Plan ist so verwegen, dass du ihn nicht vorher kennen darfst. Sonst fehlt dir der Mut zum Mitmachen.« Als Antwort hatte mir Paula jedes Mal
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