Mueller hoch Drei
Handbewegung in ein angrenzendes Zimmer.
Man hat bekanntlich gewisse Vorstellungen davon, wie ein Privatdetektiv aussieht und wie er so lebt. Hartgesottene, kantige und schweigsame Männer mit Kippe im Mundwinkel, versiffte Büros mit Rauchwolken und quietschenden Ventilatoren. Na ja, man kennt das. Und weil man das kennt, fiel ich aus allen Wolken. Denn Bruno Hochschmidt sah einwandfrei nicht aus wie die Privatschnüffler aus Film und Fernsehen, sondern eher wie ein Biologielehrer, der in seiner Freizeit sichere Krötenwanderwege anlegt.
Ganz anders als die verrauchten Schnüfflerhöhlen war auch sein Wohnzimmer, in dem ich jetzt wohl stand. Es sah aus wie die Wohnzimmer aus den Werbebeilagen der Tageszeitung, über die sich meine Eltern immer lustig machen. Oder, um es anders auszudrücken: Bei Bruno Hochschmidt war es echt gemütlich. Die Ledersessel passten im Gegensatz zu den teuren Sitzmöbeln meiner Eltern gut unter menschliche Pos, und der Fernseher stand da, wo man ihn sehen konnte, ohne sich den Hals zu verrenken. Ich setzte mich an einen Tisch, der genau die richtige Höhe hatte, und Hochschmidt stellte ein Glas Limonade vor mich hin.
»Schön, dass du da bist. Und wo ist Paula? Versteckt sie sich wieder bei Bolle?«
Woher wusste er das? Ich wollte fragen, doch weil ich trotz oder wegen des erstaunlich netten Eindrucks, den Hochschmidt bislang auf mich gemacht hatte, immer noch sprachlos war, nickte ich bloß und formte mich ansonsten zu einem stummen Fragezeichen.
Hochschmidt verstand mich auf Anhieb. »Ich weiß eine Menge.« Er zeigte aus dem Fenster, das zur Straße führte. »Der indische Masseur drei Häuser weiter ist komplett durch den Wind, seit die Kleine von seiner Freundin auf und davon ist. Er jammert in der ganzen Nachbarschaft herum. Und ich war auch in Sorge. Hab mir Vorwürfe gemacht, weil ich Paula gesagt habe, wo du wohnst.« Er schnippte mit den Fingern. »Andererseits war ich mir sicher, dass ihr beiden hier auftaucht.«
Ich merkte, dass ich wieder sprechen konnte. »Wieso haben Sie sich denn Vorwürfe gemacht? Sie haben Paula doch davor gerettet, nach Indien verschleppt zu werden.«
»Glaubst du denn wirklich alles, was sie sagt?« Hochschmidt sah mich an wie mein Erdkundelehrer, als ich ihm einmal Peru als die Hauptstadt von Mexiko verkaufen wollte. Und sofort fühlte ich mich in meinem Glauben an Paulas Geschichte wieder zutiefst verunsichert. Das gibt es doch gar nicht, dass man heutzutage zum Heiraten gezwungen wird, geschweige denn mit vierzehn! Das ist doch der blanke Unsinn! Ich fühlte, wie ich rote Ohren bekam.
Aber Paula war nun einmal meine Schwester, spätestens seit gestern Nachmittag. Und auch als langjähriges Einzelkind wusste ich, dass man seine Geschwister nicht bei der erstbesten Gelegenheit verrät.
»Und wenn es stimmt?« Ich gab mich so keck und selbstbewusst wie möglich. »Ist der Inder vielleicht zur Polizei gegangen?«
»Nein. Aber das wundert mich nicht. Bei der Polizei müsste er sagen, wo Paulas Mutter ist. Dann würde sie informiert, und das will er natürlich nicht, weil er nicht will, dass sie sich aufregt.«
»Das denken Sie! Vielleicht lässt er die Polizei aber auch aus dem Spiel, weil die nichts von seiner Heiratsverschwörung wissen darf.«
»Hm«, machte Hochschmidt, und ich fand, dass ich gerade als Bruder eine ziemlich gute Figur abgab. Paula hätte mich jetzt sehen sollen! Doch dann fuhr mir ein neuer Gedanke in mein Triumphgefühl. »Und woher wussten Sie, dass wir beide nach Berlin kommen würden?«
»Gestern Abend habe ich gesehen, dass deine Eltern verreist sind, offenbar für längere Zeit. Da ahnte ich, es zieht euch zwei nach Berlin.« Hochschmidt grinste. »Oder sagen wir, ich hab’s gehofft.«
»Sie wissen von meinen Eltern?« Ich war ziemlich perplex. »Wissen Sie denn auch, dass die mich verlassen haben?«
»Verlassen?« Hochschmidt kratzte sich am Ohr. »Davon weiß ich nichts. Ich weiß nur, welche Flüge sie gebucht haben.«
Ich trank einen großen Schluck Limonade, dann erzählte ich Hochschmidt, was in den letzten zwei Tagen passiert war. Er hörte zu, das Gesicht zu einer ungläubigen Miene verzogen. Schließlich sagte ich: »Sie sind unsere letzte Rettung.« Das klang sehr dramatisch. Piet Montag sah aus, als schämte er sich für mich.
»Nun mach mal halblang«, sagte Hochschmidt.
Aber ich blieb dabei. Und dann erklärte ich ihm unseren Plan. »Wir haben nur noch diese Schwester. Die ist unsere letzte
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