Mueller hoch Drei
22. Juli.
Oder noch einmal, und wieder mit anderen Worten: mein Geburtstag.
Falsch. Unser Geburtstag! Heute wurden sämtliche Müller-Drillinge auf einen Schlag vierzehn. Zuerst Pauline, dann Paula und dann, etwas abgeschlagen, ich.
Geburtstag bedeutet ja für gewöhnlich: Man bekommt Geschenke. Zugegeben, ich bekam immer gern Geschenke. Und besonders mochte ich sie, wenn sie mich wirklich überraschten. Es kam dann gar nicht auf das Was an, schöner war festzustellen, dass einer sich wirklich Mühe gegeben hatte, meine Wünsche zu erraten. Meine Eltern hatten das immer ganz gut gekonnt. Nur ihre bislang letzte Überraschung hatte mir so gar nicht gefallen.
Aber von irgendwelchen Eltern hatte ich, Pardon: hatten wir ja nichts zu erwarten, obwohl wir doch jede Menge davon besaßen. Jedenfalls nichts, auf das wir uns hätten freuen können. Und von Bruno konnten wir auch nichts verlangen, der war nicht einmal um sieben Ecken mit uns verwandt und hatte sich überdies schon mehrfach für uns, wie die Berliner sagen: das Futter aus der Jacke gerissen.
Doch dann kam mir, während ich mich leise-leise auf den Weg in die Küche machte, eine Idee. Warum fingen wir nicht mit dem Schenken unter uns Drillingen an, statt auf die Wohltaten anderer Leute zu warten! Und prompt fiel mir auch etwas ein. Ich selbst könnte nämlich meiner jüngst erworbenen ältesten Schwester Pauline etwas ganz Besonderes schenken, etwas Seltenes und Wertvolles: nämlich ein wenig Zeit. Ein wenig Zeit für sie selbst. Und ein wenig Zeit für uns drei.
Und wie verschenkt man Zeit? Ich glaube, keiner weiß so genau, wie man Zeit verschenkt. Man kann es nur versuchen. Ich versuchte es so:
Zuerst zauberte ich aus unserer sündhaft teuren, chromblitzenden Kaffeemaschine unter Aufbietung meines gesamten technischen Verstandes zwei Tassen Milchkaffee. Daraufhin warf ich zwei tiefgekühlte französische Baguettespezialitäten, die ich auch fünf Minuten vor meinem Hungertod nicht gegessen hätte, in die Mikrowelle. Als alles vor Hitze dampfte und brodelte, packte ich es auf ein Tablett. Um die Sache rund zu machen, zog ich Jeans und T-Shirt und dazu eine Designerschürze an, die meine Eltern einmal als Belohnung für ihr unerschrockenes Essen bei Fred, Su und Issi bekommen hatten. In diesem Aufzug trat ich aus dem Haus und vor den meerblauen Benz, in dem zwei ziemlich zerknautschte Schönewinds auf den heruntergeklappten Sitzen lagen.
Ich tippte auf die Windschutzscheibe und sagte: »Frühstück!« Oder sagen wir: Ich flötete es, genau so, wie ich es von den Kellnern bei Fred, Su und Issi kannte.
Die Schönewinds kamen parallel hoch wie erschrockene Bahnschranken. Nachdem er sich sicher schien, dass das hier kein Überfall auf offener Straße war, öffnete der Kapitän sein Seitenfenster. Ich reichte den Kaffee und die überbackenen Franzosen in den Wagen, worauf die Schönewinds ordentlich damit zu tun hatten, die heißen Sachen anderswo als auf ihren Schößen abzustellen. Zuerst bugsierten sie sich Tassen und Teller gegenseitig zu, dann platzierten sie alles auf dem Armaturenbrett.
»Frühstück am Benz«, sagte ich. »Kleiner Service des Hauses Müller.«
»Danke schön«, sagten die Schönewinds und bebliesen ihre Finger.
»Ich vermute mal, Sie sind gekommen, um Ihre Adoptivtochter mit einem Geschenk zum vierzehnten Geburtstag zu überraschen.«
»Nun ja«, sagte der Kapitän. »Das auch. Aber vor allem wollen wir –«
Ich unterbrach ihn: »Wie schön! Allerdings ist es ein bisschen früh für Überraschungen. Meine Schwestern schlafen noch. Und außerdem fürchte ich, Sie haben das Geschenk vergessen.« Ich imitierte den allseits bekannten Späherblick. »Oder übersehe ich hier vielleicht ein schneeweißes Segelboot?«
»Du bildest dir ganz schön was ein!«, sagte der Kapitän. Es klang, als spräche ein Rabe, der ihm auf der Schulter saß.
»Im Gegenteil. Einbilden war früher. Vierzehn Jahre lang habe ich mir was eingebildet. Ich habe geglaubt, ich bin einzigartig und für nichts auf der Welt verantwortlich. Aber seit einer Woche ist es mit der Einbildung vorbei. Jetzt weiß ich, dass ich zu dritt bin und dass man mich gelegentlich ein ganz kleines bisschen braucht.«
»Man kann es auch anders formulieren«, sagte der Kapitän. »Du hast dich in Angelegenheiten gemischt, die dich nichts angehen. Du und deine Schwester.« Er zog einen Umschlag aus der Jacke und reichte ihn mir. Ich musste ihn nicht öffnen, um zu wissen, dass
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