Mueller und die Schweinerei
Müller? Das Justizdepartement in Bern ist völlig aus dem Häuschen, die amerikanische Botschaft sitzt denen im Nacken, weil der US -Präsident höchstpersönlich von Ihrem Wirken erfahren hat und empört ist –«
Und der Müller: »Warum?« Die klassischen W-Fragen funktionieren immer.
Die klassischen W-Antworten auch: »Weil der US -Präsident, seine Frau und seine Töchter grosse Fans von Rupert ›Love‹ Cartwright sind. Die haben im ›New York Herald‹ von einem Mordanschlag in Zürich gelesen, den Kommissar Ben Muller mit Hochdruck lösen will.«
Was soll der Müller da sagen? Er sagt nichts. Hofft, dass der Sturm vorüberzieht.
Der Chef geht jetzt so richtig aus sich heraus: »Diese Publicity können wir nicht brauchen. Wissen Sie, wie viele Amerikaner jährlich die Schweiz und die Stadt Zürich besuchen? Sie lassen viel Geld hier liegen. Wir brauchen das! Unsere Hotellerie braucht die Logiernächte der US -Amerikaner. Unsere Verkehrsbetriebe brauchen die Lease-and-lease-back-Deals mit irgendeinem Finanztrust in Wisconsin oder Milwaukee oder weiss der Teufel. Unsere Fluggesellschaft braucht Zugang zum nordamerikanischen Markt, unsere Wissenschaftler den persönlichen Austausch mit ihren US -Kollegen –«
Kurz: eine ganze Tirade. Sie dauert mehrere Minuten und endet so:
»… sogar die Stadtpräsidentin hat sich eingemischt, der Polizeivorstand muss jetzt mit ihr Mittag essen und –«
Nun ist Peter Wunderli, der Chef, richtig ausser Atem.
»Was soll ich denn falsch gemacht haben?«, stösst der Müller in die Lücke.
Nach einer Weile seufzt der Chef.
»Ich habe Sie um Diskretion gebeten«, sagt er, »und jetzt weiss die halbe Welt, dass Zürich für US -Staatsbürger fast so gefährlich ist wie Kabul.«
So ein Schweinekram, denkt der Müller, möchte aber sagen »nun übertreiben Sie nicht«, aber wer sagt das schon zu seinem Chef – und schon gar nicht bei der Polizei. Vergessen Sie nicht, liebe Leserin, lieber Leser: Polizei = hierarchisch, ja militärisch organisierte Struktur. Klares Top-down-Organigramm, Befehlsketten, Verantwortlichkeiten, Pflichtenhefte, Reglemente, Ausführungsbestimmungen. Und immer fühlt die Polizei den feuchten Atem der Staatsanwaltschaft, des Polizeivorstands, des Stadtparlaments, der kantonalen Justizdirektion, des eidgenössischen Justizdepartements, des Gesetzes, der ungeschriebenen Gesetze, der böswillig recherchierenden Medien hinten am Hals.
Also schweigt der Müller durch die Leitung den Chef an, versucht aber, freundlich zu schauen, was der andere zwar nicht sieht, aber ich bin überzeugt: Good vibes kommen rüber.
Der Chef seufzt noch einmal.
»Verdammt, Müller … machen Sie einfach weiter.«
»In Ordnung«, sagt der Müller trocken.
»Sie sind ein guter Polizist, Müller«, sagt der Chef tonlos, »hoffen wir, dass die Inquisitoren vom Controlling nicht merken, dass Sie auf die Kostenstelle ›0600 Krankheit‹ arbeiten.«
Müller schaut auf die Uhr … Himmel, schon zehn nach neun … Nun halt keinen Kaffee, eine Blitzdusche bloss, das ist nötig, nach dieser Nacht, nach diesem Telefonat.
Der Müller kommt erst um neun Uhr fünfundzwanzig im Grossen Polizeihaus unweit der Sihl an, geht nur, weil kaum Verkehr. Die Streife hat Blacky um neun Uhr abgeliefert. Haben ihn, wie vermutet, zu Hause angetroffen, und er ist ohne Widerstand mitgekommen. Ortstermin: wieder Zimmer 419, mittlerweile gelüftet, die Aschenbecher geleert, der Boden ist frisch aufgewischt, Kaffeebecher ergänzt. Angeschraubte Stühle stehen rechtwinklig zum am Boden fixierten Resopaltisch gerichtet. Weil »Ordnung ist ein Prinzip, was uns hilft, die Welt einigermassen zu verstehen.« (Diodoros).
Also Blacky. Im Gefängnis ist er nicht negativ aufgefallen. Die Zelle war immer geputzt, und kein bisschen streitsüchtig, Gefängnis als Ruhepause vor dem wilden Treiben davor und danach, weil im Gefängnis gelten ganz klare Regeln, sie heissen »Hausordnung«. Manchen geben sie einen Halt, den sie in der Aussenwelt nicht haben.
Steht in 419. Der Müller und Bucher Manfred rein ins 419, und los geht’s.
»Setz dich«, zu Blacky. Du, weil kennen sich seit Jahr und Tag. Bucher Manfred hat ihn früher mehrmals festgenommen und verhaftet, der Müller ebenfalls. Und Blacky nicht sonderlich überrascht, dass ihn die Streife abgeholt und er auf der Polizeiwache, eher vielleicht, weshalb, weil nie grundlos. Gut, vielleicht manchmal ungerechtfertigt, aber das stellt sich schnell heraus,
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