Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mueller und die Schweinerei

Mueller und die Schweinerei

Titel: Mueller und die Schweinerei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raphael Zehnder
Vom Netzwerk:
Scheissleben, denkt der Müller, aber unzweifelhaft ein Leben. Und er beschliesst, zu Hause wenigstens eine halbe Tablette zu schlucken.
    Ruhepause bis neun Uhr. Viel Zeit für Schlaf bleibt ihm nicht, und dem Bucher Manfred auch nicht. Der kann sich vielleicht noch zwei Stunden gemeinsam zwischen die Bettwäsche legen, bevor Dr.   Brenda Marquardt in ihr Institut muss. Der Müller schliesst die Erdgeschosstür auf, gibt sich Mühe, nicht mit dem Schlüsselbund zu rasseln, huscht die Treppen hoch, eine, zwei, drei Etagen, versucht leise aufzuschliessen, weil Nachbarin von der unteren Etage scharfhörig und Haus hellhörig wie Pappmaché, Müller hat von ihr ein neues Wort gelernt: »Trittschall«. Bedeutet: Geräusche von Füssen, die gehen. Aber was willst du sonst machen? Schweben?
    Zu Hause fühlt man sich da, wo einen keiner stört. Aber Müller fühlt sich in der Wohnung gestört, weil er weiss, dass andere sich durch ihn gestört fühlen. Deshalb hält er sich daran, selbst bei dieser Hitze Filzpantoffeln in der Wohnung zu tragen.
    Die halbe Tablette wirkt, denn er schläft schon nach ein paar Zeilen Glauser »Matto regiert« ein, wo man nicht weiss, sind jetzt die Patienten der Irrenanstalt die Verrückten oder all die anderen, sogenannten Normalen. So ist es auch im Leben. Und Wachtmeister Studer, ja, mit ihm hat sich der Müller schon lange angefreundet, obwohl fussballerisch sicher anders gepolt. Das Kissen riecht nach Waschmittel, der Müller nach verschwitzt, aber macht nichts. Duschen war nicht mehr drin, nicht zu der Uhrzeit in diesem Haus. Nachher hiesse es, er lässt das Wasser absichtlich lange laufen, um die Nachbarn zu schikanieren, damit sie ausziehen und er seine privaten Polizeifreunde einschleusen kann, weil die auch eine Wohnung brauchen. Polizeizugehörigkeit ist in Zürich kein Freipass für Privilegien, weil Demokratie, aber auch Schimpfen und Häme gegen Polizei überall. In den Medien käme das sicher riesengross: »Der Terrorduscher von Wiedikon: Polizist berieselt Nachbarn rund um die Uhr.« Kannst du dir vorstellen: eine richtige Schlammschlacht, wo am Schluss nur der Staat Schaden nimmt und somit wir alle.
    Schon Wachtmeister Studer wurde immer bleich, wenn das Wort »Tschugger« fiel, aber heute ist alles noch viel ärger. Das weiss man in der Öffentlichkeit gar nicht, wenn man nicht bei der Polizei arbeitet. Aber des Müllers Äuglein sind seit Minuten geschlossen, das Licht brennt weiter, durch die Ritzen in den Jalousien der offenen Fenster quetschen sich die Nachtfalter dem Lämplein entgegen und die Motten den Kleidern und dem Mehl. Der Ventilator summt leise. Und der Müller träumt etwas Persönliches, also lassen wir ihn in Ruhe, sonst fängt er noch an, sich bedrängt zu fühlen. Dabei wollen wir ihn möglichst unerkannt beobachten, damit er sich so verhält, wie er sich normal verhält, damit wir erfahren, wie die Polizei und ihre inoffiziellen Mitarbeiter auch im Schlaf vorgehen. Gewissermassen ein Feldversuch: Teilnahme und Beobachtung. Denn schon Cassiodor der Jüngere brachte es auf den Punkt: »Der Schlaf hat es bisweilen in sich.«
    »Diskretion! Herr Müller«, hört dem Müller sein schlafendes Ohr. Er ist gerädert und das Gegenteil von wach, hört aber, dass sein Anrufbeantworter mit ihm redet beziehungsweise jemand jetzt gerade auf den Anrufbeantworter. Er kennt die Stimme. Darum stürzt er sich hin, hebt ab und schaltet die Aufzeichnungsmaschine ab.
    »Sind Sie da?«, fragt die Stimme.
    Es ist der Chef.
    »Ja, bin ich«, sagt der Müller.
    »Ich hatte soeben einen sehr unerfreulichen Anruf vom Justizdepartement –«, legt er los und macht danach eine grausame Pause.
    Weil »Justizdepartement«, da läuten im Kopf die Glocken. Da denkt jeder sofort an Unerfreuliches. Zum Beispiel an ganz lange Wörter wie »Disziplinarverfahren« und »Dienstreglementsverletzung« und »Anschissvomchef«. Alles böse Wörter, die einem langwierige Erklärungen und viel Kraft abverlangen.
    »Worum geht es?«, fragt der Müller möglichst sachlich.
    Wunderli, hinterlistig: »Sie hatten mit den USA zu tun?«
    Müller, weiterhin sachlich: »Ja.« Lügen und Leugnen geht nicht. »Warum?«
    Und Wunderli setzt an: »Ein Kommissar Ben Muller von der Zurich State Police –«
    »Kommissar«, platzt der Müller heraus, »das habe ich nicht behauptet! Würde ich nie, weil es das bei uns gar nicht gibt.«
    Hauptmann Wunderli: »Darum geht es nicht. Wissen Sie, was Sie angerichtet haben,

Weitere Kostenlose Bücher