Mueller und die Tote in der Limmat
Chromstahlwannen, die scharfen Instrumente, die hermeneutisch schliessenden Kühlschubladen, die Kanülen zum Körpersaft-Absaugen. Und wer es sich nicht gewohnt ist, buchstäblich auf Du und Du zu sein mit dem Reich der Finsternis, den mag nur beim Gedanken an dieses Destillat des Unheils, Unglücks und – ja, das dürfen wir nie ausser Acht lassen – des Verbrechens das nackte Grausen packen.
Das Adjektiv «nackt» mag manchem Polizisten beim Gedanken an Dr. Brenda Marquardt schon als Wunschbild durch den Kopf geistern, aber die Haudegen vom Dienst, ich sagte es, und die tatkräftige Akademikerin, das sind zwei grundverschiedene Planeten, deren Bahnen sich nur selten und immer nur beruflich kreuzen. Aber es ist für alle Polizisten, wie gesagt, immer eine grosse Freude, bei Dr. Brenda Marquardt persönlich den Autopsie-Bericht abzuholen. Obwohl das per E-Mail schneller ginge und Arbeitsstunden sparen würde, aber man macht das noch immer so, weil man so noch nachfragen kann und die Pathologin selbst sehen darf. Doch der Müller wird sich in diesem Fall dieses Vergnügen versagen müssen, weil keine Kompetenz und Legitimation, weil vorübergehend (?) aus dem Dienst krankgeschrieben. Also muss es der Bucher Manfred tun, sobald es so weit ist, aber Lust hätte der Müller schon. Und für Bucher Manfred wird es sicher auch kein Müssen sein. Doch vorher muss Dr. Brenda Marquardt noch die Tote aufschneiden und analysieren. Das braucht ein bisschen Zeit.
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Die Band Spitfire spielt am Montagabend in der Dampfzentrale in Bern vor sechshundertdreissig Zuschauern ein gutes Konzert. Mark Huber bekommt unter den vorbeugend bösen Blicken von Oberarmmonster Goran Krstic, Nerd Stefan Meier, «Trujillo» Hanspeter «Hausi» Sollberger und Bassist René Gabathuler die Einsätze einigermassen hin, sogar beim selbst in Skandinavien bekannten Zivilisations-Shredder-Song «When Death Cometh To Zurich-Leimbach». Publikum zufrieden. Band trotzdem nicht so glücklich. Band ins Hotel. Zuerst herunterkommen. Dann schlafen.
Das «Berner Volksblatt» (Auflage 75.613 Exemplare, beglaubigt) schreibt tags darauf. Also eigentlich in der Nacht und dann elektronisch abgeliefert:
Helvetia’s Finest: SPITFIRE – ohrenbetäubend gut!
«Der Rock von Spitfire galoppiert ohne Kuschel-Intermezzi vom Start ins Ziel. Zweimal im letzten November und am Montagabend wieder in der Dampfzentrale, alle Male ausverkauft: Immer dasselbe. Weil man das weiss, geht man hin. Und wird nicht enttäuscht.
RFM . Der Schreibende wäre fast versucht, die Konzertbesprechung vom November zu zücken, denn das Programm, die Spezialeffekte, die Bewegungen der Musiker sind an diesem heissen Sommerabend mit Ausnahme kleiner Umstellungen der Lied-Reihenfolge praktisch identisch. Spitfire sind Meister in der Disziplin der Bestätigung des Publikums durch das Vorhersehbare: Alles verändert sich, nur der Rock ’n’ Roll-Zirkus von Spitfire bleibt.
‹When Death Cometh To Zurich-Leimbach› machte diesmal den Anfang, gefolgt von dem etwas anbiedernd fürs hiesige Publikum als ‹Wankdorf City Rock› umgetexteten ‹Lake of Zurich Rock›. Es folgten ‹Problem Children› und das apokalyptische ‹Struck by Lightning›. Zwanzig Lieder in hundertzwanzig Minuten Konzertdauer, das ergibt eine Durchschnittslänge von sechs Minuten je Stück. Mit anderen Worten: Diese Zürcher pflegen nicht das verbreitete Dreiminutenformat, sie dehnen vielmehr ihre Lieder aus, nicht durch kreischende Gitarrensoli und Refrain-Mitsingspielchen wie manche stilistisch verwandten Rockgruppen, sondern durch die Wiederholung der Riffs, dieser mehrtaktigen, kernigen und kräftigen Gitarrenläufe, des Skeletts des Rock. Spitfire haben viel AC/DC gehört. Zur soliden Grundlage der drei Rhythmusarbeiter Goran Krstic (Schlagzeug), René Gabathuler (Bass) und Hausi Sollberger (Gitarre) fügt Stefan Meier (Keyboard) seine Klangfitzelchen und Lärmeinsprengsel, und Sänger Mark Huber jagt wie ein kleiner Teufel über die Bühne. Spitfire rocken hart, schnell und streuen gelegentlich einen rasenden Blues ein. Kuschelrock ist nicht ihre Sache, und das macht ihre Schau gut geniessbar. Nach achtzehn Jahren im Geschäft wissen sie, was das Publikum von ihnen erwartet, und sie befriedigen diese Erwartungen, indem sie ihre Erfolge anliefern.»
Hier der Artikel noch nicht zu Ende, nein, ist pro Zeile bezahlt. Aber Sie haben verstanden, nicht? Vielleicht noch dieses visuelle Detail, das man am Konzert sieht,
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