Mueller und die Tote in der Limmat
Nachfrage Müller.
«Kleine Stückzahlen, kleiner Markt, kein Budget für Werbung, nur Hobby, aber nicht weitersagen, vor allem nicht der Presse», sagt Holderegger.
«Nur ein Hobby?» Der Müller glaubt nicht alles, was ihm einer sagt.
«Was heisst nur ?», Holderegger wird etwas giftig.
«Nicht wertendes nur », sagt Müller semantisch, «sondern feststellendes im Sinne von lediglich , ausschliesslich. »
«Aha», sagt Holderegger, zufriedener.
Aber der Müller Benedikt sticht clever wieder direkt aufs Thema zu: «Die Sandra-Platten. Platten von Sandras Band. Das Internet sagt: ‹Erfolgreich!›»
«Im Rahmen der Möglichkeiten», sagt Holderegger, und: «Ist halt ein Pressetext.» Und: «Worum geht’s?»
Ist jetzt offenbar ganz wach.
«Ich ermittle», sagt der Müller.
«Aha», sagt Holderegger.
«Im Fall Molinari», sagt der Müller. Klingt offiziell. Bedrohlich. Da hört man schon kalt die Handschellen zuschnappen und die schwere Zellentür und die Schmerzensschreie der misshandelten Zelleninsassen.
«Ich weiss nichts», sagt Holderegger, «nur Zahlen». Kann sein, kann aber auch nicht sein, denkt der Müller, und wenn es nicht ist, dann ist Holdereggers Schweigen verdächtig. Und wenn es ist, weil er als unbescholtener Bürger der Ermittlung doch helfen wollen müsste, damit das Verbrechen weiterhin keine Chance hat bei uns in der Stadt Zürich und draussen vor der Tür bleibt, in … sagen wir … irgendwo im Ausland. Denn wir können das Verbrechen ganz und gar nicht brauchen bei uns, wir wollen es nicht, es soll weggehen, weit weg.
Aber ich schweife ab, denn der Holderegger und der Müller haben weitergesprochen, und ich habe die Fortsetzung verpasst, weil ich selber gesprochen habe. Da bin ich jetzt wirklich angeschmiert, weil da zeigt sich, wie gesagt, der Wert des Zuhörens. Und ich habe ein Problem, denn Holderegger und der Müller haben sich vor der Postfachanlage an der Seebahnstrasse wieder getrennt. Plattenfirma-Holderegger geht nach links am Eingang der Post vorbei zur Birmensdorferstrasse, wo sie noch Einbahn ist und am «McPaper»-Papeteriemarkt und am Kiosk weitervorbeiführt, um dann das Herz von Alt-Wiedikon mittendurch zu queren. Der Müller dagegen nach rechts zu den Altglas- und Metallcontainern, also an der Recyclinghölle vorbei, die von Müll heimgesucht ist, die Seebahnstrasse entlang in Richtung Tankstelle, die nachts grün-gelb leuchtet und aussieht wie eine frisch gelandete Raumstation, so gut ist das geputzt. Holderegger ab, und Müller, den wir jetzt nach rechts in Richtung Lochergut-Hochhaus begleiten, sehen beide nicht unzufrieden aus. Aber was sie besprochen haben, habe ich jetzt versäumt, also den letzten Teil davon, und das ärgert.
Ich entnehme dem zielstrebigen Schritt von dem Müller, dass ihm Holderegger eine bestimmte Mitteilung hinterbracht hat, sodass er bereits wie ein Schweisshund einer frischen Fährte folgt. Vielleicht einen Namen? Eine Adresse? Also, einfach hinterher. Vielleicht finden wir es heraus. Er hat das im Blut und folgt der Seebahnstrasse in Richtung grosse Geleise-Anlage im Vorfeld des Hauptbahnhofs, hört vor lauter Verkehr sein eigenes Husten nicht, weil Seebahnstrasse klingt idyllisch, wie See und Strand und Bahn und Ferien, war aber bis vor Kurzem Autobahn durchs Quartier. Jetzt nicht mehr, alles weniger laut und dreckig, aber immer noch genug. Und die Sandalen tragen den Müller weiter und weiter durch die Hitze, aber längst nicht bis zum Lochergut, sondern vorher sich wieder nach links ins Quartier eingefädelt. Der Müller also bis zum Idaplatz. Idyllisch: Kiesboden und Bänke mit Abfall drauf und drunter und Boccia-Spieler und frisch gepflanzte Bäume (die alten: Opfer von Borkenkäfer, Abgas, alt und hinfällig), vorbei, Kies knirscht unter den Schuhen von Polizeimann Müller. Einer der letzten Flecken, wo noch nicht durchrationalisiert und umsatzoptimiert. Bioladen und Laden mit Sportpokalen, wer braucht schon so was, und kleines Café da und dort und alte Leute und Studentinnen unterwegs zum Coop und auf der Bank ein bärtiger Alkoholiker mit Hund und daneben Kinder, die Fussballbildchen tauschen. Da ist es im Müller wieder, das berauschende Gefühl dessen, der das, was die Bürohengste überheblich als «Laufarbeit» bezeichnen, voller Freude durchmacht. Weil Laufarbeit = Bewegung und Bewegung = Denken und Denken führt manchmal zur Lösung. Irgendwann. Also nun zur Bertastrasse soundso. Wieder Altbau, Name suchen, klingeln,
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