Mueller und die Tote in der Limmat
einer raus. Grosses Fragezeichen im Blick, weil Gegenüber unbekannt, aber nicht abweisend, eher ein bisschen abwesend, weil noch nicht so spät am Tag.
«Hallo! Hallo», sagt der Müller. Will nicht unhöflich sein, weder offenes Du noch steifes Sie, weil in good old Switzerland Leute schnell Du statt Sie, für Neulinge oft erstaunlich bis verwirrlich.
«Hallo, ist der Name Michael Hauser? Ich bin der Müller.»
«Ja. Hallo. Worum geht’s?», will Hauser wissen.
«Ich habe Fragen zu Sandra Molinari.»
Und der Müller beobachtet die Reaktion. Hauser kennt Sandra bestimmt. Aber beginnt nicht auffällig zu schwitzen, zu stottern oder Herzrasen. Nicht auffällig.
«Ach ja? Komm herein, ich koche gerade Kaffee», sagt Michael Hauser (30). Wirkt sympathisch: Jeans, elektrische mittellange Wuschelhaare, dunkelblaues Sweatshirt mit Kapuze und unleserlich dekorativem Schriftzug, irgendetwas Rap oder Hardrock, irgendwas «Death» oder «Monster» oder «Grimreaper» oder «Delinquent», lässt sich nicht gut lesen, weil verschnörkelt-böse. Müller schaut es an, will es entziffern.
«Ein Plattenfirmenwerbegeschenk», liest Hauser in Müllers Blick.
«Aber was heisst’s?»
«Grimreaper», sagt Hauser, «der Sensenmann. Eine Metal-Band oder eine Lebenshaltung.»
«Der Sensenmann als Lebenshaltung?», der Müller irritiert, «wie geht denn das?»
Hauser muss lachen: «Das ist Showbusiness. Hey! Kann ich nicht ernst nehmen. Aber der Schriftzug ist gut.»
Und beide jetzt im Korridor. Klinkerboden braunrot, die Wände weiss. Nach links zwei Türen: Wohnzimmer, Schlafzimmer, nach rechts zum Hinterhof drei: Bad, Büro, Küche. Aus der Küche Kaffeeduft. Breitet sich aus und trifft sich gut. In der Küche ein Holztisch, daran vier Stahlrohrstühle, darauf eine Tasse und die Zeitung vom Tag.
«Bitte nimm Platz», sagt Michael Hauser. Das Du etabliert sich, obwohl Altersunterschied.
«Schon brutal», spricht Hauser noch zwei Wörter.
«Ja», sagt der Polizeimann Müller Benedikt.
«Das mit Sandra», sagt Hauser.
Und seltsam, findet der Müller, dass ihn keiner gefragt, also Hauser nicht gefragt, wer er ist und welche Befugnis zum Ermitteln, aber vielleicht hat er nach neunzehn Jahren Polizei wirklich ein Polizistengesicht vor dem Kopf. Und Hauser ist, sagte Holderegger, Musikjournalist. Ist aber ein Vorurteil, dass Journalisten alle linksextrem und mögen keine Polizei. Stimmt hier offenbar nicht, weil – freundlicher Blick in Hausers Kopf – der sich scheint’s geschmeichelt fühlt, weil Polizei (?) sich für sein Wissen interessiert. Das heisst: Polizei (?) denkt, er weiss etwas, Insider-Informationen aus Musikgeschäft natürlich, nicht aus Schattenwelt des Verbrechens. Wie hat Polizei (?) von mir gehört? Polizei (?) kennt mich. Bin Experte! Also schon ein bisschen Eitelkeit, und aber auch Entrüstung, weil Sandra tot, und das wünscht man niemandem, dass er, also sie, tot ist. Weil «tot» heisst «für immer tot».
Darum hat Michael Hauser gesagt: «Schon brutal, das mit Sandra.»
Und der Müller fragt, was Hauser weiss, und Michael Hauser steht auf vom Stuhl in der Küche (alles einfach, Musikposter an den Wänden, aber sauber, ausser Aschenbecher, und Müller sieht und steckt eine an, weil Rauchen hier noch nicht verboten ist wie in neunzig Prozent von Welt).
Und Hauser geht aus dem Zimmer, aber nicht Flucht, sondern holt Artikel. Klicken eines Verschlusses in Ordner, wo abgeheftet.
Wie alle Journalisten Ordnung im Archiv, damit Ordnung, wenn im Altersheim Leben Revue passieren lassen, sonst gewaltiges Durcheinander und Chaos mit den Jahreszahlen und Leben nicht mehr rekonstruierbar, weil Daten ganz an die Vergessenheit verloren. Darunter sind wirklich wichtige Stationen im Kreuzweg eines irdischen Sünders: Wann waren Bon Jovi im Stadion Letzigrund und Prince an der After-Hour im Kaufleuten und Keith Richards von Palme auf Südseeinsel gefallen? Alles einmalige Gelegenheit, unverhofftes Erlebnis. Aber zurück zu Hauser. Der bringt einen Artikel, natürlich von ihm selber, über Sandra und da steht:
«Wenn nach einem leuchtenden Beispiel für die nie versiegende Regenerationskraft und Relevanz des ganzen Rock ’n’ Roll-Komplexes gefahndet wird – who you gonna call? Keine andere als Sandra Molinari, einst Sängerin und Gitarristin der Hellhounds , von Spitfire und Wiedikon , die in den letzten Jahren zum Dialektrock gewechselt hat. Mit ihrer energiegeladenen Musik vermag sie ein ganzes Quartier
Weitere Kostenlose Bücher