Mueller und die Tote in der Limmat
von lethargischen Zürchern ins kollektive Delirium zu peitschen.»
Unterschrift: Michael Hauser. Dann geht er, der Text, natürlich noch weiter, ist erst der Lead. Nur so viel: viel Rhetorik und Schönschrift im Artikel und Prise Englisch, weil hochmodern und etwas Eitelkeit, aber doch die eine oder andere Information zu Sandra-Stil und Stil-Umfeld und aktuelle (also jetzt nicht mehr aktuelle, obwohl Artikel erst zweieinhalb Monate alt) Lage, ist jetzt schon Historie, wohl bald vergessen wie immer, weil alles vergesslich und vergänglich ist.
Bringt wenig Neues, weil Müller im Internet nachgefragt hat. Ist aber nicht schlecht geschrieben, findet der Polizeimann, und schon gescheit, und der freie Journalist Michael Hauser hat Humor und ist auch sympathisch. Aber Gefahr. Grosse. Denn Sympathie trübt den Blick für den Fall (zum Beispiel: Kinder von Schulhausplatz vis-à-vis, wo höllisch vielen Lärm machen, sind vielleicht auf ersten Blick sympathisch, weil lachen, spielen, Augen funkeln, Dreirad oder BMX und so niedlich klein. Aber in Wirklichkeit ekelhaft, weil «Ruhestörung!», sagt Filzpantoffelpflicht-dekretierende Nachbarin von einem Stock unter dem Müller seine Wohnung), darum: Sympathie hochgefährlicher Stolperstein für Ermittlung, Sympathie oioioi heikel, ich sag’s dir, da musst du aufpassen, denn es gibt welche, die haben das voll berechnend drauf.
Aber jetzt fertig metatextuell, sonst verpassen wir dem Müller seine nächste Frage. Es geht Schlag auf Schlag, weil der Müller gerade den Mund öffnet:
«Was weisst du über ‹HeHo›-Tonträger?»
Und Michael Hauser sagt: «Eine Wohnzimmerfirma mit wenig Geld. Sie haben erst einen kleinen Katalog, aber etwa zwei Dutzend schöne Produktionen, die beachtet werden. Von den Journalisten und vom Publikum.»
Und der Müller denkt: Wenn von Musik die Rede ist, fällt in diesem Land immer irgendwann das Adjektiv «klein».
Und Hauser scheint Gedanken lesen zu können und sagt: «Die Musik in diesem Land ist zwar gut, aber alles ist klein: der Markt, die Strukturen, der Kreis interessierter Medien. Hier macht keiner ein Bombengeschäft. Die goldene Schallplatte hängst du dir schon für fünfzehntausend verkaufte Tonträger ins Büro. Die Musiker bekommen pro verkaufte CD vielleicht eins fünfzig bis zwei Franken. Das Management zwackt auch noch seine zwanzig Prozent ab. Da bleibt kaum etwas übrig. Das ist ökonomisch sehr schwierig. Die Musiker machen Nebenjobs, oft unqualifizierte. Sie spielen Konzerte an jeder Hundsverlochete, kassieren nur kleine Gagen, haben aber viel Spass und Begeisterung. Freude an der Musik und mit Freunden. Da wird wirklich gute Arbeit geleistet, gute Platten … und wer eine günstige Wohnung findet, keine Alimente zahlen muss und nicht zu viel Geld für Alkohol und Drogen ausgibt, hat ein gutes Leben. Wird geachtet, hat ein dichtes soziales Netz und keinen Chef. So war’s auch bei Sandra. Sie verdiente sicher wenig, aber konnte tun, was sie wollte.»
Kurz: soziokulturelles und ökonomisches Umfeld stringent skizziert, der Müller selber hätte das nicht besser gekonnt, und Sie wissen jetzt auch Bescheid.
«Postmaterialisten», denkt der Müller. Interessante Spezies, interessante Zielgruppe. Ihm nicht fern.
Scheidet also Geld als Motiv aus? Das fragen wir uns und der Müller sich, und im Prozess wird diese Frage selbstverständlich akkurat gewichtet werden.
Scheidet also Geld als Motiv aus?
Da muss man differenzieren: Vielleicht scheidet musikgeneriertes Geld als Motiv aus. Aber vielleicht Erbschaft? Nebeneinkünfte aus Drogenhandel? Verteilungs- oder Territorialkämpfe in der Musikbranche? Pro und contra. Abwägen und genau überlegen. Schlüsse ziehen, aber die richtigen.
Und deshalb fragt der Müller erneut seine Frage, die Michael Hauser zu einem Exkurs verleitet hat: «Was weisst du über ‹HeHo›-Tonträger?»
Antwort: «Ist sicher ein Hobby. Die arbeiten für Geld anderswo. Heeb in der IT -Branche, Holderegger irgendwas mit Kommunikation. ‹HeHo› ist, wie gesagt, eine Wohnzimmerfirma. Kein schlechtes Rezept: So hältst du die Fixkosten gering, steckst alles Geld in die Produktionen, und weil du keinen Kostendruck hast, kannst du tun und lassen, was du willst. Es gibt in Zürich einige solche Labels. Heeb und Holderegger haben Stil. Sie könnten, finde ich, vielleicht ein etwas jüngeres Publikum ansprechen, aber sie arbeiten nur nach ihrem Geschmack. Das ist sympathisch, weil es nicht so kalkuliert ist
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